■ In den nächsten Tagen werden Verfassungsbeschwerden gegen den bayerischen Sonderweg beim § 218 eingereicht
: Antworten auf eine Provokation

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ehemalige Justizministerin, und Edzard Schmidt-Jortzig, ihr Amtsnachfolger, wollen ein Drittel der Bundestagsabgeordneten für eine Normenkontrollklage gegen den bayerischen Sonderweg zum § 218 gewinnen. Umgekehrt wollen die Grünen und Teile der SPD das Bundesgesetz präzisieren, um politisch auf die bayerische Provokation zu reagieren und nicht über die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts der dritten Gewalt eine Macht einräumen, deren Nutzung sie 1993 – beim zweiten Abtreibungsurteil – kritisiert hatten. Karlsruhe wird, wie auch immer, entscheiden müssen, mindestens über die Verfassungsbeschwerde bayerischer Ärzte.

Bei den bayerischen Sondergesetzen geht es um Demütigung: die der Ärzte, die seit 1992, gestützt auf das liberale Bundesrecht, spezialisiert ambulante Abbrüche in ihren Praxen durchführen; die der Frauen, die im Grundrecht auf Reproduktionsfreiheit ihre Würde symbolisiert sehen; und um die Demütigung der sozialliberalen Mehrheit im Bundestag. Diese würde allerdings bei einer abstrakten Normenkontrolle gegen eines der beiden Sondergesetze (eines regelt die Beratung, das andere ist arztrechtlicher Natur) wieder vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts landen.

Wie also könnte eine kluge Gegenwehr aussehen? Versetzen wir uns in die Lage derer, auf deren Rücken die Rechthaberei ausgetragen wird. Die Ärzte, auf die zur Zeit der Hauptanteil an ambulanten Abbrüchen in Bayern zukommt, werden nicht nur gedeckelt, sondern durch das arztrechtliche Landesgesetz handfest getroffen. Sie sollen durch die dort normierte 25-Prozent-Quote gezwungen werden, drei Viertel ihrer Einnahmen aus anderen Quellen, also nicht über Abbrüche nach dem Beratungsmodell, zu erzielen. Dies können sie nicht. Sie müßten also ihre Praxen schließen. Somit bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als Verfassungsbeschwerde einzulegen. Zuständig ist für diese Frage, da es um ärztliches Berufsrecht und nicht um den § 218 geht, der Erste Senat in Karlsruhe. Die geänderte Zuständigkeit könnte aus der Sackgasse der §-218-Debatte herausführen. Die neue, hoffentlich letzte Runde um den § 218 könnte also interessant werden.

Keinen Fortschritt brächte eine Normenkontrollklage. Die Passage über die Verweigerung des Beratungsscheins beim hypothetischen Fall einer Frau, die keine – also auch keine diffusen – Gründe nennt, braucht ohnehin nicht explizit für verfassungswidrig erklärt werden. Es reicht, wenn sie bundesrechtswidrig ist und deshalb bundestreu ausgelegt werden muß. Eine auf diese Bestimmung gestützte Verweigerung des Beratungsscheins kann risikolos in allen anderen Bundesländern als Bestätigung der Beratung gedeutet werden und einen legalen Abbruch legitimieren. Was hindert die Sozialministerien anderer Bundesländern daran, diese bundestreue Auslegungshilfe zu empfehlen? Es wäre eine föderale Antwort auf eine föderale Provokation.

Bleibt die Frage, wie gegen das faktische Verbot spezialisierter Praxen zum Schwangerschaftsabbruch vorgegangen werden kann. Die in ihrer beruflichen Existenz gefährdeten Ärzte werden in ihrer Verfassungsbeschwerde in erster Linie den Verstoß gegen Art.12 Abs.1 Satz 2 GG rügen.

Wer Geld in eine spezialisierte Praxis investiert und seine beruflichen Fähigkeiten auf ein Gebiet konzentriert hat, kann nicht kurz- oder mittelfristig völlig neu disponieren. Ein auf Abtreibungen spezialisierter Arzt kann seine Arbeit nicht zu 75 Prozent auf Frauenheilkunde umstellen, denn seine Praxis wird anders betrieben als die eines Gynäkologen.

Man stelle sich die Situation vor, die Herrn Stoiber und Frau Stamm mit ihrem Diktum von den nicht tolerablen „Abbruchkliniken“ vorschwebt: Eine zum Abbruch entschlossene Frau sitzt neben einer sich auf ihr Kind freuenden Schwangeren im Wartezimmer mit niedlichen Babybildern an der Wand. Wer Erniedrigungen dieser Art vermeiden will, muß also eine spezialisierte Einrichtung gründen, und sei es in der Form einer Abteilung innerhalb einer Klinik.

Dort wird es zum Schwangerschaftsabbruch spezialisierte ÄrztInnen geben, sei es wie in Frankreich (das Land, auf das die bayerische Gesetzgebung verweist), wo öffentliche Krankenhäuser verpflichtet sind, entsprechende Teileinrichtungen bereitzustellen, oder wie in der Bundesrepublik, die, dem Beispiel der USA oder den Niederlanden folgend, auf eine Kombination von öffentlich und privatrechtlich organisierten Einrichtungen setzt.

Der Gesetzgeber kann jedoch nicht beides: auf eine flächendeckende Versorgung durch privat niedergelassene ÄrztInnen setzen und gleichzeitig diese auf 25 Prozent ihrer Einnahmen begrenzen. Eine denkbare Alternative wäre, staatliche, städtische und Kreiskrankenhäuser nach französischem Vorbild zu verpflichten, spezialisierte Teileinrichtungen vorzusehen. Aber dies hat Bayern gar nicht erwogen, weil es dieses Ergebnis gar nicht wünscht.

Die Landesgesetzgebung reduziert also das vorhandene Angebot, ohne auch nur eine angemessene Alternative zu erwägen. Damit greift es zweckwidrig und unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Ärzte ein und verfehlt den ihm obliegenden Sicherstellungsauftrag. Danach muß eine Frau wohnortnah ein entsprechendes Angebot vorfinden. Es bleibt das Geheimnis der bayerischen Staatsregierung, wieso sie den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf das französische Vorbild aufgreift, die klare Verpflichtung daraus aber ignoriert. Liest man beide Passagen des für seine Ambivalenz berüchtigten Urteils des Zweiten Senats, wird klar, daß selbst bei konservativer Lesart spezialisierte Praxen nicht verhindert werden dürfen, sondern allenfalls staatlich kontrolliert.

In einem Bundesland, das wie Bayern bis 1992 generell jede ambulante Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch untersagt hatte, öffnete das reformierte Bundesrecht neue Wege, die nun nicht mehr über die listige Formel vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt umgangen werden können. Diese Standards gilt es auch in Bayern durchzusetzen. Monika Frommel