„Auf die Leere muß etwas drauf“

■ Die Mutter eines inzwischen vorbestraften Graffiti-Sprayers über die Grauzone zwischen Vandalismus und betreutem Sprühen / Elterninitiative geplant

Wie kriminell ist das Besprühen von Gebäuden, Brücken, Fahrzeugen? Diese Frage beschäftigt das Land Bremen seit Monaten. In Bremerhaven hat eine Sonderkommission der Polizei – „Soko Graffiti-Unwesen“ – ausschließlich Sprayer im Visier. Von Februar bis Ende September haben die Bremerhavener Beamten 1.082 Strafanzeigen angesammelt und 87 TäterInnen ermittelt. Bis jetzt ist noch keine Verhandlung gegen die im Durchschnitt 13 bis 23 Jahre alten SprüherInnen abgeschlossen; die Bremerhavener Polizei erhofft sich jedoch „empfindliche, abschreckende Strafen“.

Solch eine „Soko“ hätte sich auch die CDU-Fraktion in Bremen gewünscht, was jedoch jüngst in der Bürgerschaft selbst von Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) abgelehnt wurde. Was geschieht also mit dem sog. „Graffiti-Unwesen“ in Bremen? Carmen Emigholz, kulturpolitische Sprecherin der SPD, wird nicht müde, auf eine Jugendinitiative in Obervieland hinzuweisen, die auch vom dortigen Beirat mitgetragen wird: Jugendliche treffen sich, machen Musik und sprühen (unter Anleitung); private Anwohner melden sich spontan und stellen ihre Garagen als Sprühfläche zur Verfügung. In der Reihenhausreihe von Carmen Emigholz prangt mittlerweile über sechs Garagentore hinweg der Schriftzug „Nachbarn“.

Ab wann sind SprayerInnen kriminell, und ist so etwas wie „betreutes Graffiti“ überhaupt möglich oder nicht ein Widerspruch in sich? Die taz sprach mit Kirstin Grube aus Bremen-Nord, einer Mutter, deren 16jähriger Sohn mit EddingStiften anfing und bis heute mehrmals vor dem Jugendrichter stand. Kirstin Grube fühlt sich hilflos inmitten der politischen Graffiti-Diskussion und den Sondereinsätzen der Polizei – sie möchte eine Eltern-Initiative gründen.

taz: Sind Sie gegen oder für das Sprayen?

Kirstin Grube: Ich bin dafür.

Warum?

Weil die Jugendlichen sich ausleben müssen, die müssen sich persönlich entfalten können. Und ich finde, daß sie das durch solche Sachen machen können. Das ist eine Protesthaltung gegen die Gesellschaft, gegen die Erwachsenen oder die Schule. Und das Sprayen ist auch ein Ausdruck für: ,Es stinkt uns, und ihr seht uns nicht, aber wir sind da.'

Haben Sie das als Mutter beobachtet, oder haben Sie mit Ihren Söhnen darüber gesprochen?

Ich hab mit ihnen geredet und ich hab das selber natürlich nicht nachvollziehen können. Ich hatte gar nicht die Zeit, darauf zu achten, was die beiden so alles tun. Ich bin alleinerziehend und habe drei Kinder.

Wo und was haben Ihre Söhne denn gesprüht?

Mein Ältester hat immer an den Schulwänden mit Edding-Stiften gemalt. Was das ist, das weiß ich nicht. Das sind Sachen, die ich gar nicht lesen oder entziffern kann. Ich wurde ja auch erst darauf aufmerksam, als mein Sohn erwischt wurde.

Da wurden Sie vorgeladen?

Ja, ich mußte mit dem Schuldirektor und den Lehrern sprechen. Dann hieß es, das muß weggeputzt werden. In einer Schule haben wir gleich eine Strafanzeige bekommen. Ich muß sagen, das Rumkritzeln mit den Edding-Stiften ist ja auch kein richtiges Graffiti, das ist ein Rumschmieren. Da bin ich auch dagegen.

Ihr Sohn landete dann vor Gericht?

Das hat sich angesammelt bei ihm. Schwarzfahren kam hinzu, und einmal Graffiti an der Autobahnbrücke. Bei der Verhandlung hieß es, wir müßten drei- bis viertausend Mark bezahlen.

Haben Sie das getan?

Nein, mein Sohn muß das jetzt abarbeiten. Auf dem Recyclinghof.

Hat Ihr Sohn immer illegal gesprüht?

Nein, er hat sich zwischendurch mit anderen Gruppen zusammengetan, und die haben dann richtige Bilder gemalt. In Bremerhaven gibt's im Hafen eine Wand, die extra zum Sprühen da ist. Aber das ist immer nur eine kleine Ecke, die ist schnell voll. Dann wird das Ganze wieder illegal. Dann gehen auch die Farben aus. Spraydosen sind teuer, also wird geklaut.

Und Ihr Sohn ist inzwischen vorbestraft.

Es ist bereits eine Akte für ihn angelegt worden. Und das artet doch aus: Dann wird auf Denkmäler oder auf Autos gesprüht. Ich selbst bin ja nun nicht so ganz und gar spießig. Aber wenn ich nun gerade meinen Garten mit Findlingen schön gestaltet habe und diese Schlaumeier ihre Namen drauf sprühen, dann finde ich das auch nicht so toll.

Was fehlt in Ihren Augen für die Sprayer in Bremen?

Anlaufstellen und Freiflächen. Freie Brücken, Mauerflächen, Schulen, öffentliche Gebäude, die freigegeben werden. Und dann muß unterschieden werden, ob nun mutwillig zerstört wird, ob das Vandalismus oder tatsächlich Graffiti ist, also echte künstlerische Gestaltung. Ich habe mir mal ein Buch über Graffiti besorgt, das war sehr aufschlußreich.

Glauben Sie, daß Ihre Söhne von Sozialpädagogen betreut sprühen würden?

Nein, die sind zugekleistert mit allen möglichen Dingen und haben eine Leere in sich. Wie eine leere Wand. Auf die soll etwas drauf. Das ist ein letzter Versuch, Freiheit auszudrücken und zu erleben. Das muß aber wirklich frei geschehen können.

Sie wollen eine Elterninitiative gründen. Was erhoffen Sie sich von dieser?

Ich muß selbst sagen, ich bin mit dem Thema auch überfordert. Ich möchte mich mit anderen austauschen. Darüber, was man tun und fordern kann, wie man den Problemen entgegenkommt, und wie man sich verhält, damit man den Jugendlichen nicht so in der typischen Eltern-Über-Rolle gegenübersteht. Ich wünsche mir auch eine Art Notruftelefon.

Interview: sip

Eltern, die an der Initiative „Tag- und Nachtsprayer“ interessiert sind, können sich unter