Der Abfall als freies Handelsgut

Das gestern in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz wird nur bei der Deregulierung konkret. Die Verantwortung der Industrie bleibt ein Schlagwort, Müllgebühren könnten steigen  ■ Von Annette Jensen

Seit gestern gilt das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Es soll die Industrie für die spätere Entsorgung ihrer Produkte verantwortlich machen und so zur Müllvermeidung schon bei der Herstellung sorgen. „Das klingt positiv, ist aber leider nur eine Ankündigung“, moniert Betty Gebers, Umweltjuristin beim Ökoinstitut in Darmstadt. Außer für Verpackungen gibt es noch keine einzige Verordnung.

„Konkret wird das Gesetz dagegen bei der Deregulierung der Entsorgungswirtschaft“, so Gebers. Künftig haben Gewerbetreibende nämlich die Möglichkeit, ihren Müll von einem anerkannten Entsorgungsbetrieb abholen zu lassen und müssen ihn nicht mehr in der eigenen Kommune entsorgen. Die Kontrolle über die Abfallströme soll zunehmend von der Wirtschaft selbst übernommen werden.

In vielen Gemeinden herrscht Ratlosigkeit, wie die öffentliche Überwachung dennoch funktionieren soll. Die Ausfüllung des Rahmengesetzes durch Landesverordnungen steht noch aus. Die Verwaltungen und Betriebe wissen nicht, wie sie das seit gestern geltende Gesetz anwenden können. Doch der Appell von vielen Seiten, das Gesetz erst später in Kraft zu setzen, lehnte die Bundesregierung ab.

Hinzu kommt, daß viele Kommunen fürchten, daß das Kreislaufwirtschaftsgesetz die Müllgebühren für die BürgerInnen weiter in die Höhe treibt. Denn für den Abfall der privaten Haushalte – mit Ausnahme der Verpackungen – sind weiter Städte und Gemeinden zuständig. Viele Kommunen haben vor einigen Jahren jahrzehntelang bindende Verträge mit Müllverbrennungsanlagen geschlossen, um für die Anforderungen der Technischen Anleitung Siedlungsabfall (Tasi) gerüstet zu sein. Schon jetzt aber bekommen viele Orte die verabredeten Müllmengen nicht zusammen. Der Müllofen im bayrischen Weißenhorn im Landkreis Neu-Ulm wird beispielsweise inzwischen mit Abfall gefüttert, der für 150 Mark pro Tonne angeliefert wird – obwohl Kostendeckung erst bei einem Preis von 450 Mark gegeben ist. Der Zweckverband aquiriert Abfall, wo immer er ihn herbekommen kann. Diese Tendenz wird mit Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes vermutlich zunehmen: Denn die Betriebe werden das billigste Angebot wahrnehmen, das dann oft nur durch die Subventionierung durch die privaten Haushalte zustandekommen kann.

Es besteht also die Gefahr, daß der Anreiz zur Müllvermeidung für die Betriebe sinkt, weil sie durch günstige Angebote mehr Geld sparen können als durch eine Umstellung der Produktion, fürchtet Hermann Keßler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bündnisgrünen im Bundestag. „In dem Gesetz steht nichts von einer Abfallabgabe, so wie sie zum Beispiel in Baden-Württemberg existierte“, kritisiert er. Dabei war die Abgabe von 100 bis 300 Mark pro Tonne Müll ausgesprochen erfolgreich: Um möglichst wenig Geld an die öffentlichen Kassen überweisen zu müssen, setzten die Unternehmen auf müllarme Produktion. Doch diese Abfallabgaben sind jetzt nicht mehr vorgesehen. „Wir setzen auf möglichst wenig dirigistische Maßnahmen und möglichst viel freiwillige Selbstverpflichtung“, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums.