„Wer bestimmt über die Sprache, und warum werden die Schriftsteller nicht gefragt?“

■ Herbert Heckmann, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und Unterzeichner der „Frankfurter Erklärung“, über die Reform der deutschen Rechtschreibung

taz: Herr Heckmann, was bewegt Sie, sich gegen die deutsche Rechtschreibreform zu engagieren?

Herbert Heckmann: Ich habe schon lange gegen diese Reform protestiert. Und ich habe überhaupt noch keinen Verteidiger unter meinen Kollegen getroffen, bei den Schriftstellern nicht, bei den Germanisten nicht. Daß das Ganze eine Katastrophe ist, dürfte wohl jedem klar sein, der mit Mathematik ein kleines bißchen vertraut ist. Stellen Sie sich doch einmal bitte vor, daß alle Klassiker umgeschrieben werden müssen. Die ganze deutsche Literatur – da hat niemand daran gedacht – muß neu aufgelegt werden. Und dann fragt sich, ob die jetzigen Vorschläge überhaupt sinnvoll sind.

Die Reformer sagen, man wolle Ausländern das Lernen vereinfachen, indem man etwa Kommaregeln reduziert und die Verwendung von „ß“ und „ss“ klar regelt.

Ich bin mit einer Ausländerin verheiratet und habe ausländische Enkel. Wir sprechen zu Hause Englisch, Deutsch und Russisch. Bei diesem Argument, daß die Ausländer durch neue Regeln, die ja, nebenbei gesagt, auch neue Streitfälle schaffen, leichter lernen werden, da erzittere ich, weil es so vollkommen verblödet ist.

Klassikerausgaben sind immer wieder an die Sprache der jeweiligen Zeit angepaßt worden.

Sie sind „normalisiert“ worden.

Was ist dann dagegen einzuwenden, daß dies nun irgendwann wieder einmal fällig wird?

Es besteht heute einfach kein Bedarf, nachdem gerade von Suhrkamp, Hanser, Artemis und anderen sorgfältige neue Ausgaben vorgelegt worden sind. Und denken Sie bitte an die Schulbücher: Die sind ja mit lauter Texten bestückt, die wir klassisch nennen. Das alles muß jetzt anders geschrieben, getrennt und interpunktiert werden. Warum soll das gerade jetzt passieren, wo alle doch immer vom Sparen reden?

Die Schulbuchverleger sagen, es müßten ja ohnehin alle paar Jahre die Bücher überarbeitet werden, und da könne man die Korrekturen dann auch gleich mit erledigen.

Ich verstehe die Verleger. Neue Bücher, die die Leute kaufen müssen, das ist für sie eine wunderbare Sache. Aber wem hilft es außerdem? Und schließlich hat man jetzt festgestellt, daß der neue Duden die neue Regelung gar nicht korrekt wiedergibt.

Sie glauben überhaupt nicht an die Möglichkeit einer Reform?

Ich bin nicht grundsätzlich dagegen. Diese Reform ist aber halbherzig, der Zeitpunkt unsinnig. Außerdem: Sind Sie als Journalist dazu befragt worden?

Nein.

Sind die Schriftsteller etwa befragt worden? Auch die nicht. Da fragt man sich doch: Wer bestimmt eigentlich über die Sprache in Deutschland? Die Germanisten, die Linguisten, die Duden-Redakteure? Es sind die Schriftsteller, die so etwas wie das aktuelle Hochdeutsch fixieren. Warum fragt man die nicht? Es geschieht hier etwas mit der deutschen Sprache, die von den allermeisten Leuten, Gott sei Dank, recht gut beherrscht wird.

Die verantwortlichen Leute wundern sich, daß jetzt, da die Sache längst auf dem Wege und politisch abgesegnet ist, sich die Schriftsteller plötzlich besinnen.

Jetzt so zu tun, als ob überhaupt keine Kritik dagewesen sei, das ist einfach scheinheilig. Wir haben uns als Akademie oft genug dazu geäußert. Was nutzt es? Gar nichts. Jetzt haben wir eine von oben verordnete Sache, keine durchdiskutierte Reform.

Glauben Sie, die Reform sei noch zu stoppen?

Nein. Man sagt das jetzt zum hunderttausendsten Mal, in der schon verzweifelten Hoffnung, daß jemand zuhört. Niemand hört zu. Interview: Jörg Lau