■ Wenn die Bündnisgrünen ihr Urthema, die Ökologie, dem Zeitgeist opfern, graben sie sich selbst das Wasser ab
: Akzeptiert, aber profillos?

Dieser Tage veranstaltete die Akademische Gesellschaft für Umweltforschung und Ökologie der Schweiz in Zürich ein internationales Symposium zur Zukunft der Böden und der Welternährung. Es sind keine guten Nachrichten, die die „Experten für Dreck“ (so David Pimentel von der Cornell University) zu überbringen haben. Während die Anzahl der Menschen von heute 5,8 Milliarden bis 2020 auf 8 und bis 2050 auf 10 Milliarden anschwillt, schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche. Hauptgründe: Bodenerosion; rasante Versiegelung von fruchtbarem Land; Wassermangel.

Der traditionelle Ausweg, die „Neulandgewinnung“, ist vielerorts versperrt oder nur um den Preis schwindender Artenvielfalt und neuerlicher Bodendegradierung zu erkaufen. Ertragssteigerungen durch eine weitere Intensivierung der Agrikultur – durch mehr Pestizide, mehr Mineraldünger, mehr (fossile) Fremdenergie – sind zwar noch möglich, aber dies begrenzt und aus ökologischer Sicht überaus fragwürdig. Auch die Verheißungen der Gentechnologie sind – unabhängig davon, wie man sie ethisch beurteilt – einstweilen nichts als ungedeckte Wechsel.

Schon sehen sich namhafte Wissenschaftler wie der Berliner Ökologe Wilhelm Ripl oder Gary Gardner vom Worldwatch Institute genötigt, uns daran zu erinnern, daß der Niedergang von Zivilisationen oft mit der Erschöpfung ihrer Böden begann, etwa der sumerischen oder der griechischen Kultur. All dies sollte Anlaß sein, dem Schutz der Böden, der Förderung einer ökologischen Landwirtschaft und der Sicherung der Welternährung einen höheren politischen Stellenwert einzuräumen, als es derzeit der Fall ist. Es ist noch nicht zu spät.

Auf der Heimfahrt von Zürich nach Bonn fiel mir im Zug eine zurückgelassene Zeitung in die Hand (die mit dem klugen Kopf dahinter). In einem kurzen Artikel wurde auf den Perspektivenkongreß der Grünen verwiesen, der heute in Hannover stattfindet. Im Text heißt es: Nur noch in zwei der zehn Foren des Kongresses wird ökologischer Umbau behandelt. Dies dürfte keineswegs als Schelte gemeint sein, sondern als Lob: Auch die Bündnisgrünen sind bereit, sich den „harten“, den wirklich wichtigen Themen zuzuwenden und von den „weichen“, den „Schönwetterthemen“ abzulassen.

Solche harten, wichtigen Themen sind laut FAZ zum Beispiel: Kindergelderhöhung um 20 Mark; Höhe des Spitzensteuersatzes; Haftung der Bundesregierung für Pauschalreisende; Beteiligung der Beamten an der eigenen Altersversorgung im Promillebereich. Es gibt keinen Grund, sich über diese Alltagspolitik naserümpfend zu erheben. Sie muß gemacht werden. Und zwar ordentlich und gerecht. Aber, mit Verlaub, gegenüber der elementaren Bedeutung von gesunder Nahrung, sauberem Trinkwasser, guter Atemluft und bekömmlicher Umwelt sind die Beamtenpensionen nun wahrlich ein windelweiches Thema. Hier sind einigen Zeitgenossen schlicht die Maßstäbe verrutscht. Sie beanspruchen Realitätssinn für eine Sicht der Dinge, die vielleicht aus aktuellen Nöten oder Interessen verständlich, keineswegs aber durch Fakten gedeckt ist.

Und die Bündnisgrünen? Die Fragen lauten: Welchen Stellenwert soll die Ökologie (und welche Art von Ökologie) bei ihnen haben? Wenn Ökologie als Politik gedacht wird, dann lassen sich vereinfachend zwei Formen unterscheiden: die Modernisierungs- und die Bewahrungsökologie. Die Agenda der ersteren wird von den Grünen (wie auch von Teilen der Sozialdemokratie) perfekt beherrscht. Stichworte: ökologische Steuerreform, Energieeffizienz, Solarenergie, Dreiliterauto. Es ist in diesen Zeiten nicht das Schlechteste, wenn man seine Politik als modern, technologieorientiert und jobfördernd zugleich präsentieren kann. Zumal wenn das eigene Publikum – die urbanen Mittelschichten – diese Melodie gern hört.

Freilich sollten Ziel und Mittel nicht verwechselt werden. Wir müssen die natürlichen Lebensgrundlagen für heutige und zukünftige Generationen erhalten – unabhängig davon, ob damit Arbeitsplätze oder exportfähige Technologien entstehen, so wichtig beide zweifellos sind. Man bedenke den Umkehrschluß. Der heißt: Ökologie nur, wenn sie neue Produkte und Arbeitsplätze schafft. Es muß davon ausgegangen werden, daß in den anderen Parteien mehrheitlich so gedacht wird, auch in der, die sich die Grünen als ewigen Koalitionspartner ausgesucht haben.

Die andere Hälfte ökologischer Politik – das Bewahren – wird bei den Bündnisgrünen, soweit ich erkennen kann, derzeit eher kleingeschrieben: der Erhalt von Bodenproduktivität, Landschaftsvielfalt und der Tier- und Pflanzenwelt, der Einsatz dafür, daß der Welt keine weiteren Wunden geschlagen werden. Vielleicht hält man diese Themen für vormodern, konservativ oder gar irgendwie religiös (manche Grüne sollen den Kampf gegen Rom ja immer noch für das Hauptziel der/ihrer Emanzipation halten).

Nur muß man sich natürlich fragen, was von dem originär Grünen bleibt, wenn die Wirkungsgrade von Kraftwerken oder der Benzinverbrauch von Autos wichtiger werden als das unbedingte (und pragmatische) Eintreten für Lebensinteressen. Mag sein, daß man mit einer „halbierten Ökologie“ im parlamentarischen Betrieb überleben kann. Schließlich kann auch die FDP – allen Unkenrufen zum Trotz – mit einem „halbierten Liberalismus“ überleben. Aber der Sache angemessen wäre das nicht mehr.

Zwei Empfehlungen: Die Grünen sollten sich neben der ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auch wieder den Bewahrungsthemen zuwenden. Eine reine „City-Ökologie“, die sich im Technischen und in Lifestyle-Trends erschöpft, reicht nicht aus. Zu den Bewahrungsthemen gehört übrigens auch die unauflösliche Verbindung von sozialem Zusammenhalt und der Bereitschaft, ökologische Verantwortung zu übernehmen. Da sollte einiges mit den Sozialdemokraten gehen, vielleicht auch mit den Konservativen, aber kaum mit den halbierten Liberalen.

Die Grünen dürfen sich von der Globalisierungsdebatte nicht ins Bockshorn jagen lassen. Keineswegs ist es so, daß angesichts des Orkans, der auf den Weltmärkten tobt, in Deutschland und der Europäischen Union ökologisch nichts mehr ginge. Kein Mensch kann uns daran hindern, unsere Häuser besser zu dämmen, Stoffkreisläufe zu schließen oder umweltverträglichen Landbau zu fördern. Reinhard Loske