■ Glosse
: Multikulti klein

Helmut Kohl wird dieser Tage als Einheitskanzler und Steher gefeiert. Zu Recht werden seine Verdienste als Europäer hervorgehoben. Der Pfälzer läßt sich nicht ins nationalistische Bockshorn jagen. Jedenfalls nicht in der „großen Politik“.

Das ist ja das Schlimme! Denn über alle pompösen TV-Shows von Helmut und Gorbi, Helmut und Boris und nicht zu vergessen Helle und seinen dahingegangenen Händchenhalter François Mitterand wird leicht eine „Kleinigkeit“ der Politik vergessen: Politik ist für Menschen da, für „kleine Menschen“.

Im „Kleinen“ aber wird die Politik des großen deutschen Steuermannes Helmut K. klein, um es genauer zu sagen: kleinlich. Helmut Kohl ist, was mitunter vergessen wird, seit 20 Jahren Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union. Diese Partei macht seit langem vehement gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ mobil.

Warum? Hören Helmut K. und seine Unions-Freunde nicht gerne die Musik von Ravel, Chopin, Tschaikowsky? Amüsieren sie sich nicht über amerikanische Filme, chinesische Artisten, südamerikanische Volkstänze? Genießen sie nicht italienische Küche, kalifornische und französische Weine? Einige der CDU-Damen und Herren sollen sogar Jazz lieben und für russische Literatur schwärmen.

Der Historiker Helmut Kohl weiß, daß Deutschland immer multikulturell war – wenn man von den zwölf unseligen Jahren absieht, die das „Tausendjährige Reich“ der Nazis währte. Dahin will kein Zurechnungsfähiger zurück. Schon gar nicht der ausgewiesene Demokrat Helmut Kohl.

Was also wurmt die Christlichen Demokraten an der „multikulturellen Gesellschaft“? Die Menschen! Gerne genießen sie fremde Kulturen – aber bitte ohne fremde Menschen. Das gibt nur Probleme! Denn die Türken bringen nicht nur Teppiche nach Deutschland. Sie wollen hier bleiben und Deutschen Arbeit wegnehmen, die eh kein Deutscher zu tun bereit ist. Und die Kriminalität. Ausländer klauen (auch)! Daß vergleichbare deutsche soziale Gruppen nicht weniger stehlen, will mann nicht wissen. Ebenso verdrängt man, daß Drogen zwar vielfach von Ausländern eingeschmuggelt, aber von Deutschen konsumiert werden.

Vielleicht besinnen sich der bekennende Christ Helmut Kohl, seine Parteifreunde und Glaubensbrüder darauf, daß auch das Christentum multikulturell ist. Der Jude Jesus verdammte Hartherzigkeit und predigte Nächstenliebe – nationale Einschränkungen machte er nicht. Rafael Seligmann