Jeans-Döner, blau eingefärbt und ungiftig

■ Die Galerie Berlin/Tokio praktiziert die etwas andere Art von Kulturaustausch

Skeptisch blickt eine Frau mit kurzen blonden Haaren und Plateauschuhen in die spärlich beleuchtete Hofeinfahrt in der Rosenthaler Straße 38, aus der gerade ein junger Mann herausschlendert. „Geht's hier zur Galerie Berlin/Tokio?“ fragt sie den Passanten, der mit seinem Basecap und zu weiten Hosen so aussieht, als ob er es wissen müßte. Kurzes Kopfnicken in Richtung des dunklen Hinterhofs, und schon ist sie im Hauseingang verschwunden. Kein Schild weist dem Suchenden den Weg zum Ausstellungsort und auch die Öffnungszeiten von 22 Uhr bis früh morgens sind nicht gerade typisch für eine Galerie.

Über mangelnden Zuspruch können sich die Mitglieder vom „Kulturforum Berlin/Tokio e. V.“ trotzdem nicht beschweren. Wer erst einmal den richtigen Hinterhof gefunden hat, muß sich nur noch zu der Menschentraube gesellen, die jeden Donnerstag und Samstag vor dem Kellereingang mit der umgebauten silbergrauen DDR-Straßenlaterne ansteht. Nach Entrichtung einer „Schutzgebühr“ von 5 Mark führt eine kleine Treppe in den Keller der Galerie, der mit seinen strahlenden weißen Wänden und zwei viereckigen Säulen an eine kleine Tiefgarage erinnert. Dort findet seit Mai alle zwei Wochen eine neue Ausstellung mit entsprechender Party zum Thema Berlin-Tokio statt.

Dabei geht es weniger um Kunst im herkömmlichen Sinne. Denn „was das ist, weiß sowieso niemand“, meint der 1. Vorsitzende des Kulturforums Rafael Horzon. Das einfache Konzept von Horzon, der niemals ohne Kopfbedeckung anzutreffen ist, lautet deshalb: „Hauptsache, es sieht gut aus und es macht Spaß.“

Wer den nötigen Humor besitzt, kam bei den bisherigen Ausstellungen auch auf seine Kosten. So wurde im Juli der 100. Jahrestag der Eroberung des japanischen Kulturkreises durch die Jeans mit der Ausstellung „Sox, Jeans and Rock 'n' Roll“ zelebriert. Dieser ungewöhnliche Geburtstag wurde mit Jeans-Filmen, Jeans-Bärten in Tüten, Jeans-Zigaretten und Jeans-Eis gebührend gefeiert. Wer dann immer noch nicht genug hatte, konnte selbst seinen Hunger mit einem blau eingefärbten, garantiert ungiftigen Jeans-Döner stillen. Dieser war jedoch aufgrund starker Nachfrage schnell vergriffen. Auch bei der Ausstellung im Juni namens „Japansexdeutsch“, gab es manch eigenwilliges Ausstellungsstück zu sehen. Neben japanischen Filmen und Comic strips wurden einige exotische Details aus dem Liebesleben beider Völker ins Galerielicht befördert. Die „Lustzange aus Tokio“, welche verdächtige Ähnlichkeiten mit einer Flachzange aus dem Werkzeugkasten aufwies, und der Gegenpart ein „SM-Bohrer aus Erkner“, mit dem auch jeder Heimwerker seine Freude hätte, waren nur zwei der Exponate, die den BetrachterInnen Rätsel aufgaben.

Auch alte Traditionen Japans kommen in der Galerie nicht zu kurz. Der japanische Kagura- Schleiertanz, eine Art Gebetsritus, den im Mai eine Tänzerin aus Tokio aufführte, sorgte für einen Hauch authentischer Atmosphäre in der Galerie. Fans kulinarischer Genüsse wurden mit hausgemachtem Sushi und japanischem Kirin-Bier bestens versorgt.

Hinter diesen Ausstellungen stehen zwei Frauen und acht Männer zwischen 21 und 26 Jahren, die schon vorher zusammen in der „Bügelgalerie“ in der Auguststraße Vernissagen und Partys organisierten. Als dort der Mietvertrag auslief, wurde ein Verein gegründet, neue Räumlichkeiten gesucht und dank der kunstinteressierten Hausverwalterin des Hauses in der Rosenthaler Straße 38 gefunden. Da besonders Rafael Horzon seit einer Japan-Reise vor zwei Jahren ein Faible für Japan und die dortige Kunstszene hat, lag es nahe, das Thema Kunst und Japan in den Mittelpunkt der neuen Galerie zu stellen.

Inzwischen finden neben unbekannten Künstlern wie Hitoshi Ikeda, der dem Publikum im August neben Gemälden und Plastiken auch intime, persönliche Gegenstände wie Fön oder Bügeleisen präsentierte, auch bekanntere Künstler wie der Hamburger 4000 oder Jim Avignon den Weg in die Galerie.

Begleitet werden alle Vernissagen von Bands und DJs mit klingenden Namen wie die Asphalt Vibratoren, Franz Geil oder einem DJ namens Herd („der heiße Platten auflegt“), welche je nach Anlaß Tokio-House, Japan-Rock oder Nippon-Funk spielen. Nur laut muß es sein, denn „eigentlich ist die Musik dafür gedacht, daß man das Vernissagen-Gewäsch nicht mehr hören muß“, erläutert Rafael Horzon einen weiteren wichtigen Punkt des Galeriekonzepts. „Das Schöne ist jedoch, daß unser Publikum gar kein Vernissagen-Gewäsch redet.“ Klar, denn inzwischen bilden „Mitte-Hippster“, „Kunstfreunde“ und „Laufkundschaft vom Hackeschen Markt“ ein so buntes Gemisch, daß es ohnehin genauso ums Tanzen geht wie um das Bewundern skurriler Ausstellungsgegenstände. Und auch der Weg in die Galerie dürfte sich inzwischen soweit herumgesprochen haben. Zur nächsten Vernissage von König Maibach heute abend wird kaum noch jemand nach dem Weg fragen. Oliver Stüber

Berlin/Tokio, Rosenthaler Straße 38, Vernissage heute 22 Uhr