Politik und Verstand

■ „Ungewohnt dramatisch“: Schleswig-Holsteins Grüne stehen in Husum erneut vor Koalitionsfrage – wegen Krümmel

Rot-grün in Kiel – ja oder nein? Schleswig-Holsteins Grüne wiederholen morgen auf der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) in Husum ihre Abstimmung vom Mai. Symbolisch für das gesamte Koalitionsprogramm steht das Wiederanfahren des Atomkraftwerks Krümmel auf der Tagesordnung. Das Thema geht an die grüne Substanz. Hinter den Kulissen laufen die Drähte heiß. Für unberechenbar halten sowohl grüne „normale Mitglieder“ als auch Funktionäre den Ausgang der Diskussion.

Im Landesvorstand war es zum Bruch zwischen der als Koalitionsgegnerin geltenden Antje Jansen und dem Befürworter Klaus Müller gekommen. Anfang der Woche warnte Müller angesichts der „womöglich unerwarteten Dramatik der Husumer LDK“ seine Getreuen schriftlich davor, „unvorbereitet in sie hineinzustolpern“. Bis gestern lag aber erst ein Antrag vor, zu dessen erstem Satz kein Grüner Nein sagen kann: „Die LDK möge beschließen: Keine Zustimmung der Grünen zum Wiederanfahren des Atomkraftwerks Krümmel.“ Im zweiten Satz werden Landtagsfraktion, Minister und Staatssekretäre aufgefordert, die Zustimmung zum Wiederanfahren zu verweigern. Welche Konsequenzen daraus folgen, läßt der Antrag der Kreisverbände Rendsburg und Steinburg sowie mehrerer Einzelpersonen, darunter die linke Landesvorstandssprecherin Antje Jansen und die Landtagsabgeordnete Adelheid Winking-Nikolay, jedoch offen. Antje Jansen sagte gestern zur taz, sie wolle nicht unbedingt die Koalition kippen. Aber sie fordere mehr grünes, klares Profil in der Ausstiegspolitik. Zu spät hätten sich grüne Landtagsabgeordnete darum gekümmert. Selbst die eigene Fraktionskollegin Winking-Nikolay fand wochenlang kein Gehör. Grüne Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel.

Koalitionsbefürworter hingegen sprechen davon, daß die Gegner – gerade in der Atompolitik – nur blockieren wollten. Angesichts des Pfuschs am AKW-Bau und der Leukämiefälle sage der gesunde Menschenverstand natürlich „Abschalten,“ aber so funktioniere Politik nicht. Eine Behörde wie die Atomaufsicht dürfe sich nicht einfach von Recht und Gesetz lösen. Symbol-Politik sei ein Rückschlag für das gemeinsame Ziel des Ausstiegs aus der Atompolitik, so das Credo. Die Rot-Grün-Befürworter – vor allem die Fraktion – tut scheinbar wenig dafür, die Gegner in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. So soll Antje Jansen aus Diskussionsprozessen bewußt herausgehalten oder die Parteisatzung danach durchforstet worden sein, wie man die „unbequeme Fragerin“ los wird.

Dem einstigen Vorzeige-Grünen und jetzigen Energie-Staatssekretär Wilfried Voigt mißtraut nicht nur die Gruppe um Jansen. Auch ehemalige energiepolitische Mitstreiter schlagen, auf Voigt und seine Politik angesprochen, entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Der Frage, ob Voigt in Husum mit einem Mißtrauensantrag konfrontierte werde, wich Jansen allerdings aus. Die grüne Kieler Fraktionschefin Irene Fröhlich war gestern zuversichtlich, daß „im Sinne der Koalition entschieden“ werde.

Kersten Kampe