Die beste Geheimpolizei der Welt

Immer mehr Polizisten und Geheimdienstler in Südafrika beantragen Amnestie vor der Wahrheitskommission, darunter der Kommandeur der berüchtigten Vlakplaas-Einheit, Dirk Coetzee  ■ Aus Durban Kordula Doerfler

Dirk Johannes Coetzee hatte einen Traum. Wie alle Polizisten wollte er zu den Besten gehören, zur Elite seines Berufsstandes. Eine kleine, legendenumwobene Familie, von der man nicht sehr viel wußte. Wer zu ihr gehören wollte, mußte bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Weiße Hautfarbe, burische Eltern, Vater möglichst in der Nationalen Partei, christlich-afrikaanse Erziehung im Sinne der Apartheid-Ideologie. Für Jungs fing das mit der „Voortrekker“-Jugendbewegung an. In die Geheimpolizei bewarb man sich nicht, man wurde geholt.

Der junge Polizist Dirk Coetzee, Musterschüler seines Jahrgangs, traf während seiner Stationierung in einem gottverlassenen Grenzposten auf seine Gönner, Nick van Rensburg und Jan van der Hoven. Beide hatten Ende der 70er Jahre schon eine Position in der Geheimpolizei. Coetzee war gar nichts, aber jung und ehrgeizig. Obwohl er noch nicht offiziell dazugehörte, durfte er für sie arbeiten. Schon bald bekam er eine ehrenhafte Aufgabe: eine Sondereinheit aufzubauen. Sie sollte politische Gegner, „Terroristen und Staatsfeinde“ aus den Befreiungsbewegungen, verfolgen.

Mitte 1980 wurde Dirk Coetzee der erste Kommandeur der berüchtigten Vlakplaas-Einheit der Geheimpolizei. Einer seiner Nachfolger hieß Eugene de Kock, unlängst wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Einheit erhielt ihren Namen nach der gleichnamigen Farm westlich Pretorias, auf der sie stationiert war. „Vlakplaas“ heißt soviel wie „flacher Platz“. Binnen weniger Monate machte Coetzee den verlotterten Haufen zu einer einsatzfähigen Truppe. 1981 aber war seine Karriere in der Geheimpolizei erst mal beendet.

Coetzee hatte Fehler gemacht, die gegen die ungeschriebenen Regeln der Familie verstießen. „,Laß dich nicht erwischen‘ hieß das 11. Gebot der Geheimpolizei“, sagte Coetzee in dieser Woche vor dem Amnestie-Ausschuß der Wahrheitskommission in der Hafenstadt Durban. Spätestens seit den Enthüllungen von Eugen de Kock vor Gericht weiß man, daß die Vlakplaas-Einheit schlicht eine kriminelle Mordbande war. Innerhalb des Ehrenkodexes der Familie wußte man, was man zu tun hatte. Den Entscheidungsspielraum, einen Befehl zu hinterfragen, gab es nicht. Coetzee ließ sich bei kleineren kriminellen Vergehen erwischen. Außerdem wollte er sich nicht von seiner Familie wegversetzen lassen. Soviel Renitenz war in der Geheimpolizei nicht erwünscht. Fortan war Coetzee wieder nur einfacher Polizist.

Den größten Fehler beging er jedoch 1989: Er packte aus, nachdem ihn einer seiner ehemaligen Untergebenen schwer belastet hatte. Als erster Geheimpolizist gab Coetzee zu, daß sogenannte Todesschwadrone innerhalb der Sicherheiskräfte existierten, die plünderten, folterten und mordeten. Er mußte außer Landes gehen und lief zum ANC über. Noch heute steht er unter einem besonderen Zeugenschutzprogramm der Wahrheitskommission, ein Schicksal, das er mit fünf ehemaligen Kollegen teilt, die in den vergangenen beiden Wochen in Johannesburg ebenfalls Amnestie beantragt haben.

Die Atmosphäre in den Anhörungen, die meist in muffigen, lichtlosen Sälen stattfinden, ist beklemmend. Während die Anhörungen von Opfern häufig eher Therapiestunden gleichen, wird hier eine künstliche Gerichtsverhandlung inszeniert. Die Antragsteller erscheinen mit Anwälten und Beratern und haben mehrhundertseitige Begründungen ihres Amnestiebegehrens eingereicht. Der fünfköpfige Ausschuß besteht ausschließlich aus Richtern und Anwälten. In tagelanger Kleinarbeit, oft mit stundenlangen Verspätungen, entsteht allmählich ein Bild von Südafrikas Geheimpolizei, von ihren Strukturen und Arbeitsweisen, ihren Grausamkeiten und Absurditäten. Für jedes Verbrechen muß einzeln Amnestie beantragt und ein volles Geständnis abgelegt werden; dabei muß auch das politische Ziel oder die politische Motivation für die Tat nachgewiesen werden.

Coetzee will für 14 Verbrechen gegen die Menschlichkeit amnestiert werden, darunter den Mord an dem bekannten Menschenrechtsanwalt Griffiths Mxenge im Jahr 1981. Auch einer seiner Nachfolger als Kommandeur von Vlakplaas, Jack Cronje, ist unter den Antragstellern. Mehr als 40 Morde wollen er und die vier anderen bekennen. Ermittlungsbehörden und Wahrheitskommission befinden sich inzwischen in einem seltsamen Wettbewerb: Wer amnestiert wird, kann nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Das Prinzip der Gerechtigkeit steht gegen das der Wahrheitsfindung.

Wir waren die beste Geheimpolizei der Welt“, sagt Jack Cronje in seinem Antrag nicht ohne Stolz. Am israelischen Mossad habe man sich orientiert. Je mehr Details enthüllt werden, um so mehr aber wird der Mythos zerstört. Die Männer, die da sitzen und zum Teil stotternd ihre Aussage machen, gleichen mit Ausnahme Coetzees allzusehr Karikaturen des typischen burischen Mannes: groß, grobschlächtig, in schlecht sitzende graue Kunststoffanzüge gekleidet, weiße Socken.

Coetzee selbst ist noch heute der enttäuschte Musterschüler, der beflissen auf die Fragen des Ausschusses antwortet. Seit seiner Rückkehr nach Südafrika habe er sich der Wahrheitssuche verpflichtet gefühlt. Das mag man ihm noch glauben, auch, daß die Entschuldigung bei der Familie Mxenge ernst gemeint ist. Die anderen haben fast ausnahmslos und ohne Fragen zu stellen gedient, bis das System unterging. Erst jetzt werden sie in den Augen der Ihren zu Verrätern. Sie sind nervös, sie quälen sich mit ihren Aussagen, um nicht zuviel zu verraten; doch sie müssen ein volles Geständnis ablegen. Dann wieder reden sie fast zwanghaft, sprudeln Details nur so heraus.

Für jeden Verdächtigen aus den Reihen der Befreiungsbewegung wurde nach Aussagen Cronjes eine Akte angelegt. Zwei bis drei Informanten berichteten regelmäßig gegen Bezahlung. Jeden Morgen erstattete jede Einheit Bericht an ihre Vorgesetzten bis hinauf ins Hauptquartier in Pretoria. 1986, als sich die Regierung im Zustand des „totalen Angriffs“ seitens der Kommunisten auf Südafrika wähnte – damals herrschte der permanente Ausnahmezustand –, wurde zusätzlich zu Vlakplaas noch eine bisher unbekannte Sondereinheit gegründet, genannt Trewits. Sie hatte die Aufgabe, „Ziele“ zu identifizieren, die eliminiert werden sollten – menschliche Ziele. „Sie nur zu verhaften, war ineffektiv“, sagt Cronje. „Um ihre Aktionen zu verhindern, mußten wir sie eliminieren.“

Doch schon bei der Frage, was Oppositionelle zum Ziel machte, verheddert sich Cronje in Widersprüche. Erst sind es sogar Schüler, die in den Townships an Schulstreiks teilnahmen; dann sind es nur „ernsthafte Aktionen“. Auch die Befehlsstruktur bei Eliminierungen ist bislang nicht klar. Denn wieviel wußten die politische Verantwortlichen? „Wir arbeiteten für die Nationale Partei“, sagen alle. Und: Einzelne Regierungsmitglieder wußten Bescheid. Um ihre eigene Haut zu retten, müssen die Antragsteller ihre Vorgesetzten verraten. Vor allem Coetzee nennt Namen mit der Präzision einer Maschine. Es sind nur ein paar Dutzend. Die „Familie“ war wirklich klein. Schriftliche Befehle gab es selten.

Coetzee erläuterte das bestens am Fall Mxenge. Die Vlakplaas- Einheit war eine Art mobile Killertruppe, die von regionalen Büros der Geheimpolizei für die Drecksarbeit angefordert wurde. So erklärt sich auch, daß deren Mitglieder in ganz Südafrika in Morde verwickelt waren. Um auch im Feindesland, in den schwarzen Townships, agieren zu können, bediente sie sich sogenannter Askaris, geschnappte Guerillakämpfer, die mit Hilfe von Folter „umgedreht“ wurden. Der Berüchtigste hieß Joe Mamasela. Dirk Coetzee machte ihn zum Polizisten, er mordete unter Eugene de Kock bis in die 90er Jahre.

Ende 1981 bekam Coetzee den Auftrag vom Chef der Sicherheitspolizei in Durban, Jan van der Hoven – seinem einstigen Gönner –, für Griffiths Mxenge „einen Plan zu machen“. Der war dem Regime als Anwalt Oppositioneller mißliebig. Nach Coetzees Angaben konnte man ihm selbst mit den südafrikanischen Gesetzen nichts anhängen. „Ich wußte, das hieß, ihn zu eliminieren und keine Spuren zu hinterlassen.“ Mxenge wurde von vier schwarzen Vlakplaas-Mitgliedern, darunter auch Mamasela, entführt und in einem Fußballstadion grausam umgebracht. Keine Schußwaffe durfte benutzt werden, damit es wie ein Raubüberfall aussah. Mxenges Körper wurde mit mehr als 40 Stichwunden verstümmelt – selbst für das damals gewaltgeschüttelte Südafrika auffallend brutal. Niemand in den Townships glaubte an den Raubüberfall. Mxenges Auto wurde an einen vom damals verbotenen Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) benutzten Grenzübergang gebracht und verbrannt. Man wollte dem politischen Gegner den Mord anhängen. Coetzees Vorgesetzten waren mit der Tat so zufrieden, daß sie die Mörder mit einer Extraprämie belohnten.

Das 11. Gebot war befolgt worden.