■ Ökolumne
: Wider den Beton- Bolschewismus Von Winfried Wolf

„Die Zukunft wird teuer“, sagte (der Daimler-Boß) Schrempp, „aber dann laßt uns wenigstens in etwas investieren, das Profit und Beschäftigung und gute Laune verspricht.“ So Mathias Greffrath in der Ökolumne am letzten Samstag.

Der Daimler-Boß habe – „quadratisch, praktisch“ – bei dieser Gelegenheit eine „schöne, kleine Vision“ auf den Tisch gestellt: „Bauen wir a tempo die Infrastruktur für das neue, große Europa: die Autobahnen nach Kiew und Warschau, die Schnellbahnen für den Menschen und Güterverkehr zwischen Madrid und Moskau. Das schafft Aufträge für Jahrzehnte, das mobilisiert Arbeit, das verschränkt Abhängigkeit und schafft damit Sicherheit.“

Eine Präzisierung, drei Fragen und ein Zwischenruf seien gestattet.

Die Präzisierung:

Schrempp sprach nicht von dem, was getan werden müßte. Er spricht von dem, was real abläuft: Unter dem EU-Begriff TEN – das steht für Trans European Networks – wird derzeit ein europaweites Programm verwirklicht, das den Bau von ein paar Hochgeschwindigkeitsstrecken vorsieht, vor allem aber von 12.000 Kilometern Autobahnen. Hierzulande läuft der geltende Bundesverkehrswegeplan darauf hinaus, daß derzeit In Deutschland Jahr für Jahr 1.000 Kilometer neue Gemeinde-, Kreis- und Landstraßen sowie Autobahnen gebaut werden.

Frage 1:

Inwieweit ist solch ein Projekt des schnellen Verkehrsweges neu? Es stand bekanntlich schon im Zentrum der NS-Arbeitsbeschaffungspolitik. Jörg Haider wird nicht müde, diese Stammtischweisheiten als für heute aktuell zu propagieren. Und als die sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland im Abzug begriffen waren, schlug der CSU-Mann Gauweiler im Spiegel vor, diese sollten doch für den Bau von Autobahnen gen Osten eingesetzt werden.

Frage 2:

Inwieweit handelt es sich um Projekte für „den Mensch“ und „den Güterverkehr“, wie Greffrath annimmt? Der Autor scheint nicht zu wissen, was Schrempp weiß – und verschweigt: 90 Prozent der rund 1.100 Wege, die ein durchschnittlicher Mensch im Jahr zurücklegt, bewegen sich im Entfernungsbereich unter 50 Kilometern. Etwa 80 Prozent aller Gütertransporte, die stattfinden, bedienen Strecken unter 100 Kilometern. Der „Mensch“, den Schrempp im Visier hat, ist allenfalls der privilegierte Manager, es sind Berufspolitiker und Bürokraten, es ist jene radikale Laptop-Minderheit von drei bis vier Prozent der Erdlinge.

Frage 3:

Was, bitte schön, hat das alles mit „Arbeitsplätzen“ zu tun? Geld, das im selben Sektor – Infrastruktur, Verkehr – für Zwecke ausgegeben würde, die wesentlich mehr den aktuellen menschlichen Bedürfnissen entsprechen, könnte ein Vielfaches von denjenigen Arbeitsplätzen schaffen, die der Schremppsche Betonbolschewismus verspricht: 100.000 Mark, ausgegeben für Stadtsanierung, Radwegebau, Fußgängerzonen und so weiter, schaffen rund zweieinhalbmal so viele Arbeitsplätze wie die Verausgabung derselben Summe für Autobahnen oder Hochgeschwindigkeitsstrecken.

Der Zwischenruf:

Greffrath meint, er habe eine „Vision“ vernommen. Gleichzeitig zitiert er den Herrn des Daimler-Sterns mit: „Laßt uns beschleunigen, was wir ohnehin tun müssen.“ Was hier beschrieben wird, ist das Gegenteil von Vision. Es handelt sich um die „praktisch-quadratische“ Definition des Prinzips „Nach uns die Sintflut“. Womit durchaus Zeitgeist bedient wird: Klimakatastrophe und Bundeswehr-Ost-Einsätze kommen „ohnehin“. Dann laßt uns diesen bequemen Weg der Zerstörung wenigstens betonieren, und dies pronto. Nicht blind, nein, sehenden Auges soll der Weg in die Barbarei beschleunigt werden. Die Vision einer menschlichen Gesellschaft jedoch setzt auf Natur statt Beton, auf Mensch statt Profit, auf Entschleunigung statt Raserei. Diese Vision ist notwendig, machbar, rund und praktisch.