Was ist bloß mit Oskar los?

Vor einem Jahr wurde Oskar Lafontaine in Mannheim zum SPD-Vorsitzenden geputscht. Seine Partei gibt sich seither gespenstisch ruhig. Ein Zwischenzeugnis  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Wenn Rudolf Scharping nach dem Mannheimer Parteitag gefragt wird, dann sagt er stets die gleichen zwei Sätze. Erstens: „Die SPD steht heute besser da als vor einem Jahr.“ Und zweitens: „Weiter möchte ich mich nicht dazu äußern.“ Dazu – damit meint er den Umstand, daß er genau vor einem Jahr auf jenem Parteitag nachgerade handstreichartig von Oskar Lafontaine als SPD- Vorsitzender abgelöst wurde.

Der Anführer der SPD im Bundestag hat sich Loyalität geschworen – was ihm viele, nicht nur in seiner Partei, hoch anrechnen nach all der Illoyalität, die ihm bis zum Mannheimer Parteitag widerfuhr. So lobt Scharping einerseits den neuen SPD-Vorsitzenden für den Zustand der Partei und versucht andererseits, seine persönliche Enttäuschung über den Putschisten Lafontaine zu verbergen. In Scharping spiegelt sich die zwiespältige Meinung vieler über den saarländischen Ministerpräsidenten: der erfolgreiche Macher mit dem zweifelhaften Charakter.

Unbestritten ist: Querelen wie während der Scharping-Ära gibt es nur noch selten. Der Scharping- Nachfolger führt ein straffes Regiment. Wann immer in den vergangenen Monaten einer der selbstbewußten SPD-Landesfürsten aus der Reihe tanzen wollte, machte ihn Lafontaine zur Schnecke – egal, ob es um die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis ging, die er zurechtstutzte, nachdem sie von der SPD ein eigenes Sparpaket gefordert hatte, oder um den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, der Verständnis für die Verschiebung der Kindergelderhöhung geäußert hatte. Lafontaine bedient sich dabei der sanften Tour: Statt Stolpe öffentlich zu maßregeln, spannte er dessen Kirchenbruder Johannes Rau als Kritiker ein. Stolpe gab nach.

Lafontaine kommen, anders als Scharping, mehrere Dinge zugute: Erstens kann er als Ministerpräsident und Bundesratsmitglied seine Amtskollegen besser zusammenhalten; zweitens darf sich der größte aller Querulanten, Gerhard Schröder, nicht abermals erlauben, Minen gegen den Parteivorsitzenden zu legen, wie er es bei Scharping getan hat. So wirkt der Niedersachse heute wie gezähmt.

Einer, der nicht einknickt – das reicht für ein Lob

Doch Lafontaine hat sich auch Respekt durch seinen verläßlichen Kurs erworben. Gegen alle Anfechtungen aus den eigenen Reihen ist die SPD unter seiner Knute bei der Erhöhung des Kindergeldes konsequent geblieben und hat erfolgreich die Stimmung gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beeinflußt. Ein Lafontaine, so das Signal, knickt nicht ein – was bei Scharping nicht immer ausgemacht war. Der Grundstein für Lafontaines innerparteilichen Erfolg ist aber womöglich sein Verhältnis zu Scharping selbst. Kaum ein Tag vergeht, an dem die beiden nicht wenigstens miteinander telefonieren. Häufig ist von Lafontaine zu hören: „Das muß ich erst noch mit Scharping absprechen.“

Klug hat er ihm gegenüber in einigen Punkten nachgegeben, baut ihn dadurch auf und verhindert aufreibende Flügelkämpfe. So konnte sich Scharping in der Frage der deutsche Bundeswehreinsätze im Ausland durchsetzen. Lafontaine, der bis zum letztjährigen Parteitag immer dagegen votiert hatte, erlaubte nun der Fraktion, Tornado-Einsätzen zuzustimmen, sofern die Jets keinen Kampfauftrag haben. Auch die SPD-Leitlinien zur Ökoreform konnte Scharping gegen anfänglichen Widerstand Lafontaines durchpauken.

Die Ruhe in der Partei wird ihm zugute gehalten – aber was hat Lafontaine inhaltlich gebracht? Seine Befürworter schwärmen, der Parteichef habe eine für die Mehrheit der Partei akzeptable Vision gefunden – eine der Abkehr vom Thatcherismus und dem Gerede von den zu hohen Löhnen und zu üppigen Sozialleistungen. Statt dessen fordert Lafontaine eine europäische Nivellierung der Steuern und Sozialabgaben, um den ruinösen Wettbewerb aufzuhalten.

Seine Kritiker werfen ihm dagegen vor, daß die SPD eine Neinsagerpartei sei und keine eigenen Reformideen habe. Fragen wie die nach ökologischer Umgestaltung und einer tauglichen Beschäftigungs- und Bildungspolitik blieben unbeantwortet.

In der Tat könnte man meinen, Lafontaine habe das Thema Ökosteuer bei der SPD fast kaputtgemanagt. Seitdem er gegen innerparteilichen Widerstand die Befürwortung einer aufkommensneutralen Ökosteuer befohlen hat, kann sich Gerhard Schröder zu Recht über die nun fast sinnentleerte Ökosteuer lustig machen.

Daß Schröder wahrscheinlich auch zuletzt lachen wird, wenn es um die nächste Kanzlerkandidatur geht, hat aber mehr mit der Persönlichkeit Lafontaines zu tun. Die ist nicht nur dem Großteil des Wahlvolks suspekt, sondern auch seiner Partei. Die „Rotlichtaffäre“ hat Imagespuren hinterlassen, ebenso das daraufhin verschärfte Pressegesetz im Saarland.

Zudem verzeihen ihm viele Ostdeutsche seine nach dem Mauerfall kritische Haltung zur Wiedervereinigung nicht. Bei einigen Genossen hat Lafontaine darüber hinaus den Ruf des notorischen Putschisten. Gern wird daran erinnert, wie er Mitte der achtziger Jahre Hans-Ulrich Klose als SPD- Schatzmeister durchdrückte. Die Partei hatte sich schon auf Klaus Wettig verständigt, bis Lafontaine noch in die Parteiversammlung hineinplatzte und den ihm genehmen Kandidaten präsentierte. Die nicht ganz feine Machtübernahme in Mannheim erscheint manchem SPD-Mitglied typisch für ihren Anführer.

Erstaunt nehmen zwar viele zur Kenntnis, daß Lafontaine nicht mehr so arrogant und abweisend wirkt wie noch vor Jahresfrist. Doch nicht alle Parteimitglieder trauen ihm deswegen. Trotzdem gilt der Saarländer als Hoffnungsträger. Einer seiner Vertrauten sagte im Hinblick auf den Bundestagswahlkampf 1998: „Lafontaine wird auf den Punkt genau da sein.“