Pastors Jubel

■ Herbert Blomstedt und seine NDR-Sinfoniker mit Brahms „Requiem“

Zu aller Düsternis dieser Tage, Totensonntag, Buß- und Bettag und wie sie alle heißen, gehört auch Brahms' Requiem seit altersher – und doch ist es gar nicht so.

Wohl das Wetter am Sonntagnachmittag, dunkel und diesig, eher zum Einmummeln als zum Ausgehen. Aber drinnen in der Musikhalle war es hell und warm, die Bühne übervölkert mit zwei ganzen Chören, dem Rundfunkchor aus Budapest und dem des NDR, dazu ganze Heerscharen von Geigern und Cellisten, sechs Kontrabässe und zwei Harfen. NDR-Chef-Dirigent Herbert Blomstedt, der wie Gewonnene, so Zerronnene, war für so einen Trübtag und so ein Programm die ideale Besetzung: ein strenger Pastor in einem frühen Bergmann-Film.

Was folgte, war überhaupt nicht streng. Gleich zu Beginn nicht allein „tiefe Streicher“, sondern Celli. Die Harfen sah man nicht nur wackeln, man hörte sie spielen. Blomstedt machte durch zügige Tempi, non legato beflügelte Rhythmik und delikate Orchesterfarben deutlich, daß diese Messe für ihn kein Ding für Trauerklöße ist. „Denn alles Fleich, es ist wie Gras“ (Brahms hatte offenbar Sinn für Sprache) – die Trostlosigkeit solcher Zeilen löst sich in dieser Totenmesse allemal in Freude auf, ein Wort, das Brahms natürlich nicht ohne musikalische Reminiszenz an Beethovens bekannten Schlußchor vorübergehen ließ.

Überhaupt: Die Steigerungen von Trübsal zu Jubel, von Nacht zu Tag, von Leid zu Ruh', diese speziell im deutschen 19. Jahrhundert so beliebten Per-aspera-ad-astra-Strecken, deren Brahms im Requiem einige der schönsten vorlegt, gelangen Blomstedt und dem Orchester an diesem Nachmittag besonders eindrucksvoll.

Nicht zu vergessen der besonders in den Höhen weiche, gut geführte Bariton Matthias Gornes und der feste, wohltimbrierte Sopran Juliane Banses. Be-Sinn-ung war das alles, Schnupfenprophylaxe für die dämmerdumpfe Seele. Und für die Trauer über die, die davon mußten, ohne daß wir sie doch gehen lassen wollten, gewiß tröstlich.

Stefan Siegert