Saloppe Würde

■ Gidon Kremer spielte mit Musikern aus aller Welt Tango von Astor Piazolla

Künstler zum Anfassen will Gidon Kremers Plattenlabel Eastwest zur Welt bringen. Bei Kremers Konzert-Hommage an die argentinische Bandoneon-Legende Astor Piazolla am Sonntag abend auf Kampnagel war der Meistergeiger indes fast zum Knuddeln. Nur die salopp sitzende Würde eines der ganz Großen der Klassikszene und sein enormes Können gaben ihm auch ein wenig Unnahbarkeit.

Ein Tango-Abend hätte es werden können, schlimmstenfalls ein Folkloreabend, wie ihn vor drei Monaten Daniel Barenboim am selben Ort vormachte, als er, begleitet von zwei argentinischen Spezialisten, Tango vom Blatt spielte – als ob man Liebe vom Blatt machen könnte.

Kremer versuchte es gar nicht erst. Sein Pianist kam aus Rußland, der Bassist von den Wiener Philharmonikern, der Bandoneonspieler aus Norwegen. Und sie spielten Piazolla, wie vor hundert Jahren Chopin polnische oder Brahms ungarische Musik gespielt haben müssen. Nicht als Crossover oder exotische Mixtur, sondern als gute Musik, die gute Musiker aus ihrer Sicht und im Licht ihrer Zeit und Weltgegend aufgreifen und sich anverwandeln.

Piazolla also im Klangbild einer Bach-Partita oder einer Beethoven-Violinsonate, eines Wiener Kaffeehaus-Stücks oder einer Strawinsky-Miniatur. Über Jahrhunderte und Tausende von Seemeilen hinweg klang sogar die archaische Verwandschaft des Tango mit der Weltmelancholie der Zigeunermusik an. Anstatt ihre Identität zu verleugnen und in geliehenen Pantinen zu tanzen, spielten Kremer und Kameraden Piazolla im ganz eigenen Idiom und machten die fremde Musik solcherart erst vertraut und nachfühlbar auch für ein Hamburger Publikum, das den Riesenspaß, den dieses Konzept den Vollblutmusikern auf der Bühne machte, sichtlich begeistert aufnahm und zurückgab als Riesenapplaus.

Daß die Truppe auf ihrer Tournee bis nach Japan und Australien reist, paßt ins Konzept. Weltmusik im besten Sinn. Stefan Siegert