■ Die (Ost-)Berliner Mitte soll neu entstehen. Das Motto: Weg mit sozialistischer Baugeschichte und der Moderne
: Altstadt gesucht!

War wirklich niemandem aufgefallen, daß alle bisherigen Diskussionen um die Berliner Mitte stets an der Spree und also noch vor dem Roten Rathaus aufhörten? Hing nicht noch eine Drohung über dem Rest? Über die östliche Innenstadt „müssen wir in der Tat kontrovers mit den Ostberlinern reden, weil die Bauten der Nachkriegszeit dort einfach falsch sind“, hatte Hans Stimmann, damals Senatsbaudirektor, schon vor zwei Jahren im Spiegel zu Protokoll gegeben. Jetzt, als Staatssekretär für Stadtentwicklung, macht er Ernst. Aber er redet nicht, sondern läßt einen Masterplan zeichnen. Der darf inzwischen nur noch „Planwerk“ heißen, ist aber trotzdem eine unmißverständliche Kampfansage an das gesamte Ostzentrum in seinem derzeitigen Baubestand.

Ideenlieferant und Stichwortgeber ist dabei wiederum Dieter Hoffmann-Axthelm. Der müßte mit seiner altliberalen Parzellentheorie angesichts des nun sichtbar gewordenen Neubaudesasters entlang der Friedrichstraße eigentlich schwer ins Grübeln kommen. Aber nein, aus dem Scheitern seiner im 19. Jahrhundert gründelnden Stadtträumereien schöpft er nur den Mut zu einem neuen Anlauf, der alles bisher Dagewesene noch übertrumpfen soll: Jetzt sollen sämtliche historischen Zentrumsflächen Altberlins, vom Halleschen Tor im Süden der Friedrichstadt bis hoch hinauf an die Grenzen von Prenzlauer Berg und Friedrichshain, in das weitgehend verschwundene Sträßchen- und Gäßchenraster der königlichen Residenzstadt zurückgepreßt werden. Daß Berlin in allen Citybereichen infolge Kriegszerstörung und diverser Neubauplanungen längst das Gesicht einer Stadt der Moderne trägt, wird zum fatalen „Unfall der Geschichte“ erklärt: Den braucht man als planerische Ausgangslage nicht ernstzunehmen; man will ihn per „Rückbau“ ungeschehen machen.

Die da so mutwillig sämtliche Funktions-, Sozial- und Raumstrukturen eines nicht unproblematischen, aber doch über Jahrzehnte gewachsenen Stadtzentrums komplett zur Disposition stellen, waren noch unlängst Protagonisten einer behutsamen Stadterneuerung. Wie sie den nun exerzierten stadthistorischen Revisionismus (wie auch die totale Ignoranz den bisherigen Nutzern gegenüber) mit ihren einstigen Überzeugungen redlich in Einklang bringen, müssen sie mit sich selber klären. Was die Bewohner Ostberlins von dieser neuerlichen naßforschen Denunziation ihrer Wiederaufbauleistungen halten, werden sie den Planern aus dem Westen, denen bei „Alexanderplatz“ nur „Sibirien“ einfällt, hoffentlich deutlich genug sagen.

Brisanter noch als jene Anmaßung den „Brüdern und Schwestern“ gegenüber, die nach 1989 in Planungsdingen genauso wenig gefragt werden wie vorher, sind die Interessenlagen, die sich hinter den Planzeichnungen verbergen. Es gehört zur Tücke dieses „Planwerks“, daß in ihm gleich mehrere Ansätze zum Stadtumbau zu einem Paket verschnürt sind. Man muß zwischen lang- und kurzfristigen Strategien unterscheiden, es geht um Ideologie und handfestes Krisenmanagement.

Daß mit dem versprochenen Straßenrückbau Einschränkungen im Autoverkehr zu erreichen sind, kann nur glauben, wer die Hardliner im Verkehrssenat (und die Investoren am Potsdamer Platz) immer noch nicht kennt. Erst wenn irgendwo glaubhafte Anstrengungen zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs nachweisbar wären, ergäbe auch die Verbauung von Fahrbahnen einen Sinn. So jedoch bleibt das Winken mit der fußgängerfreundlichen Stadt leeres Versprechen.

Sehr viel realistischer klingt da schon die Hoffnung des Senats auf „Flächenmobilisierung“. An dem „Planwerk“ hat nämlich auch die Berliner Finanzkrise mitgezeichnet. Ausschließlich Flächen, die sich in öffentlicher Verfügung befinden, waren für korrigierende Eingriffe freigegeben. Das ergibt für die Westhälfte des Planungsgebiets nur ein zusammenhangloses Gesprenkel. Dies als „Stadtreparatur“ in den betreffenden Arealen (z.B. rund um den Mehringplatz) zu verkaufen, ist nicht mehr als ein Alibi. Aber im Osten, wo die DDR-Planer dem Ideal der luftig gegliederten und durchgrünten Stadt auch im Zentrum demonstrativ gehuldigt hatten, sind unbebaute Flächen gleich hektarweise zu holen. Man muß sie nur als „Wüste“ und „ungestaltete Brachen“ diffamieren. Daher jene blindwütigen Attacken, die nun gegen die Stadttheorien der Moderne geritten werden: Es geht um die Rückholung jedes einzelnen Quadratmeters Boden, den die Planer der vergangenen Jahrzehnte so wohlmeinend verschwenderisch an die Öffentlichkeit „verschenkten“. Dafür wird sogar die Fläche zwischen Rotem Rathaus, Marienkirche und Fernsehturm geopfert, einer der großzügigsten Stadtfreiräume Europas. Da sollen jetzt Mittelständler mieterfreundliche Häuschen bauen? Wer das als Planungsziel ausgibt, disqualifiziert sich als Experte. Oder er betreibt vorsätzliche Täuschung. Denn schon droht wieder der Hobrecht-Effekt [Berliner Stadtplaner vor der Gründerzeit; A.d.R]: Wer erst einmal Parzellen ins Blaue ausweist, wird das Hauen und Stechen der Spekulanten ernten. Oder worüber sollte Klaus Groth, Spitzeninvestor von Berlin und Umgebung, morgen auf dem Stadtforum sonst anderes reden?

Aber womöglich ist der finale Ausverkauf der City-Ost noch gar nicht alles. Die plötzliche Abkehr von der seit 100 Jahren gewachsenen und ausgesprochen vitalen Polyzentralität Berlins muß alarmieren.

Jetzt wird ein neues „Primat der Mitte“ verkündet, dem nicht nur die DDR-Planungen weichen, sondern auch die City-West zwischen Zoo und Kurfürstendamm sich künftig unterordnen soll. Darin aufgehoben ist die Sehnsucht nach „nationaler und internationaler Akzeptanz“, und zu deren Sicherung gewinnt, nach Entwicklungssenator Strieder, die Repräsentation durch „Geschichte“ immer stärkere Bedeutung. Also: Vorzeigbare Altstadt gesucht!

Nimmt man die geplante Zusammenlegung der Innenstadtbezirke Tiergarten, Mitte und Kreuzberg bei entsprechend gebündelter Planungshoheit hinzu, zeichnet sich am Horizont die Figur eines zentralistisch dirigierten und vorsorglich zurechtsortierten Regierungsbezirkes ab – ungefähr in den Konturen der alten preußischen Residenz. Meint Berlin das mit Modernisierung? „Das Planwerk ist der erste Schritt hin zu einer komplexen stadträumlichen Neuordnung der deutschen Hauptstadt.“ Danke, Herr Strieder, für diese deutlichen Worte. Wolfgang Kil