Krankenkassen wollen klüger sparen

■ Spitzenverbände machen erstmals Vorschläge, wie der Misere im Gesundheitsbereich abgeholfen werden kann. Auf dem Wunschzettel: Endlich "Positivliste" für Arzneimittel und neue Apothekentarife

Berlin (taz) – Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben gestern ein Sparprogramm für das deutsche Gesundheitswesen veröffentlicht. Da im kommenden Jahr mit einem Defizit von insgesamt 20 Milliarden Mark zu rechnen sei (1996: 10 Milliarden), müsse überall gespart werden – das aber auf intelligente Art.

Durch die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Beitragssenkung um 0,4 Prozent zum 1. Januar 1997 und die erschwerten Bedingungen für Beitragserhöhungen würden die Kassen zu „einschneidenden Maßnahmen“ gezwungen werden. So müßten die Budgets der Ärzte und Krankenhäuser entsprechend den vorhersehbaren Einnahmeverlusten gekürzt und alle vertraglichen Vereinbarungen zwischen Kassen und Leistungserbringern „zur Disposition“ gestellt werden.

Die Kassen stellten ihr Programm knapp eine Woche vor der Expertenanhörung im Gesundheitsausschuß am nächsten Mittwoch vor. Dort soll über das letzte Gesetz zur 3. Stufe der Gesundheitsreform gesprochen werden. Man habe jetzt einen Diskussionsbeitrag liefern wollen, so Michaela Gottfried vom Verband der Angestellten-Krankenkassen zur taz. Ziel sei es nicht, „Leistungen auszugrenzen, sondern aufzuzeigen, wo noch gespart werden kann“.

Beispielsweise bei den Arzneimitteln. Sie sollen, wünschen sich die Kassen, zukünftig auch im Versandhandel, direkt beim Arzt, beim Hersteller oder in Krankenhausapotheken zu kaufen sein. Dies sei „bedarfsgerechter und kostengünstiger“ – wie auch „Reimporte“ von Medikamenten, die in der Bundesrepublik hergestellt und im Ausland billiger verkauft werden als im Herstellungsland. Darüber hinaus fordern die Kassen die sogenannte „Positivliste“, auf der kostengünstigere und trotzdem wirkungsvolle Arzneimittel verzeichnet stehen – diese Sparmöglichkeit wird jedoch von der Pharmaindustrie eisern blockiert.

Schließlich schlagen die Kassen ein neues Zuzahlungsmodell vor: Unentbehrliche Mittel wie zum Beispiel Insulin sollen nichts kosten, umstrittene Mittel (etwa Hämorrhoiden- und Venenmittel) jedoch zur Hälfte vom Patienten mitbezahlt werden.

Die Kassen schlagen zudem vor, daß die Versicherten bei Fahrtkosten in Zukunft 200 Mark im Jahr (Härtefälle: 100 Mark) selbst bezahlen sollen. Die Budgetierung von Krankenhausleistungen, das heißt die Errechnung fester Kosten für genau definierte Leistungen, soll weiter ausgebaut werden. Außerdem geplant: Ambulante Krankenhausbehandlungen sollen bezahlt werden wie in Arztpraxen.

Die Dialyse bei Zuckerkranken sollte demnächst stärker zu Hause durchgeführt werden. Auch die Zahnärzte sollen Federn lassen: Deren Honorierung bei Zahnersatz und Kieferorthopädie soll weiterhin über sie abgerechnet werden – und nicht privat. Und: Der Individualprophylaxe sei die Gruppenprophylaxe (zum Beispiel in Kindergärten oder Schulen) vorzuziehen. Florian Gless