Vages Sicherheitsmodell für Europa

■ Die OSZE berät in Lissabon über die Osterweiterung der Nato, die innere Reform und die europäische Sicherheit

Genf (taz) – Welche Sicherheit für welches Europa? Ganz im Zeichen dieser Frage steht das Gipfeltreffen der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) am Montag und Dienstag nächster Woche in Lissabon. Vor zwei Jahren beim Budapester Gipfel drohte Rußlands Präsident Boris Jelzin für den Fall einer Osterweiterung der Nato noch mit einem „kalten Frieden“ in Europa und forderte eine grundlegende Strukturreform und Kompetenzerweiterung der KSZE. Eine Mehrheit der Mitglieder lehnte dies ab. Es kam lediglich zur Änderung des Namens von K(onferenz) zu O(rganisation). Doch um Moskaus Sorgen vor einer Nato-Osterweiterung zu besänftigen, wurde in Budapest beschlossen, die Diskussion über ein „Gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodell für Europa im 21. Jahrhundert“ aufzunehmen.

Seitdem wurde in mehr oder wenig intensiver und strukturierter Diskussion auf Ebene des „Hohen Rates“ der OSZE (der ständigen Botschafter der 53 Staaten am Hauptsitz der Organisation in Wien) zwar eine Liste von 50 möglichen Faktoren militärischer, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Risiken in Europa erarbeitet. Klar ist bislang jedoch nur, welche Rolle die OSZE bei der Antwort auf diese Risiken auch künftig nicht spielen soll. Lediglich Rußland und die Ukraine plädierten für die Aufwertung der OSZE zu einer Institution kollektiver Sicherheit für Europa und ihre Ausstattung mit Handlungskompetenzen bis hin zum Einsatz militärischer Mittel zur Friedensbewahrung. Die Mehrheit der 53 Mitglieder lehnte diese Forderung ab oder meldete Klärungsbedarf an. Der auch von Frankreich unterstützte Vorschlag Moskaus für eine „Europäische Sicherheitscharta“, die die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa auf Vertragsbasis stellen und ein völkerrechtlich verbindliches Sicherheitssystem schaffen soll, wird von den USA und Großbritannien verworfen. Selbst eine lediglich koordinierende Rolle der OSZE im Konzert der diversen Institutionen (Nato, WEU, EU) stößt vor allem in den USA auf deutlichen Widerspruch. Und auch der von der diesjährigen Schweizer Präsidentschaft unterbreitete Vorschlag, einen „Beratenden Ausschuß der OSZE für Sicherheit“ einzurichten, stößt auf wenig Gegenliebe. Insbesondere kleinere Mitgliedsstaaten befürchten, dieser Ausschuß könnte sich zu einem „OSZE-Sicherheitsrat“ entwickeln, in dem dann nur die Großen das Sagen hätten. Unter diesen Umständen wird das jetzt vorgesehene Gipfeldokument über ein neues „Sicherheitsmodell für Europa“ kaum mehr enthalten als unverbindliche Formulierungen über Prinzipien europäischer Sicherheitskooperation und das einander ergänzende Wirken („Komplementarität“) der Institutionen OSZE, Nato, EU und WEU. Dies dürfte die Bedenken Moskaus gegen die Nato-Osterweiterung kaum mildern.

Die geplante Osterweiterung der Nato verkompliziert auch die Anpassung des 1990 noch zwischen Nato und Warschauer Pakt vereinbarten Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) an die veränderte Situation. Zwar herrscht prinzipieller Konsens, daß das bisherige Blockkonzept als geographischer Bezugsrahmen für die maximale Anzahl zu stationierender Panzer, Kampfflugzeuge und -hubschrauber sowie von Infanteriefahrzeugen und Artillerie durch ein Zonenkonzept ersetzt werden soll. Doch Rußlands Wunsch, im Zuge dieser Anpassung ein völkerrechtlich verbindliches Verbot der Stationierung westlicher Streitkräfte und Waffen in künftigen osteuropäischen Mitgliedsländern der Nato zu verankern, stößt in diesen Ländern wie bei der Nato auf entschiedene Ablehnung. In Lissabon muß auch noch über den Tagungsort für den Gipfel 1998 entschieden werden. Die Einladung der Türkei nach Ankara hat bereits den Widerspruch Griechenlands hervorgerufen. Andreas Zumach