Underground im Keller

„No Rules“: Punks im Karo-Viertel bauen ein Archiv für Platten, Zines und Videos auf / Im Angebot auch T-Schörts und Raritäten  ■ Von Steffen Kugler

Klar trägt er keine Fönfrisur, aber auch den obligatorischen Farbeimer haben seine Haare schon Monate nicht mehr gesehen. Nonkonform und zerstrubbelt hat ein undefinierbares Braun die Wasserstoffblondheit verdrängt; auch seine Klamotten wirken kaum extrem, höchstens sportlich. Wegen seiner äußeren Erscheinung würde man Theo also nicht unbedingt als einen Dinosaurier der Punkszene einschätzen. Aber das ändert sich rasch: „Punk, det is für mich einfach Zeitgeist, und den muß man pflegen“, und weil Theo inzwischen zwar über dreißig ist und schon zu den Betagteren in der Szene gehört, aber noch immer den Punk im Herzen hat, will er sich jetzt auf eine neue Art und Weise darum kümmern.

Warum die Räume hinter und unter seinem Headshop „Sweety Barbuuba“ in der Marktstraße ungenutzt lassen? Damit da mal was geschieht, haben er und seine Kumpels Aggel und Alvaro Briefe an etliche Punkzines, Szeneläden und Bekannte in Europa und den Vereinigten Staaten geschrieben, ihnen von ihrem Projekt erzählt.

Das heißt „No Rules“ und soll ein Laden werden, über den „alles läuft, was inne deutschen Punkszene so abgeht“, und in dem man rund um Punk alles, aber auch alles finden kann. Da sind zuerst natürlich Platten und Zines zu nennen, jene unregelmäßig erscheinenden Szenepu-blikationen, die von meist lokalen Gruppen autonom produziert und vertrieben werden, daneben aber auch „T-Schörts“, Videos, gebrauchte Platten, „Comix“, „mal schauen, wenn's klappt, verkaufen wir hier auch selbergenähte Klamotten“, visioniert Theo, und natürlich soll es jede Menge Informationen aus der Szene geben. „Die Punkszene ist immer noch recht groß“, führt er aus, „das Problem ist nur, die is viel zu zerfleddert und unorganisiert, in jedem Kuhdorf findest du doch heute eine Punkband, ein paar Leute, die wat losmachen, ein Zine herausgeben, nur weiß keiner wat vom annern.“ Und genau dem soll begegnet werden. Die noch ungenutzten Räume bieten Platz für hochfliegende Träume. Neben dem Verkauf von allem, was das Punkherz begehrt, und einer Schnittstelle für alle szenerelevanten Informationen soll hier demnächst das erste Punkarchiv entstehen. „Das Interessante anne Punkszene ist“, sagr Theo, „daß sich alles ständig bewegt, da spielt eine Band ein paar Konzerte, dann löst sie sich auf, setzt sich neu zusammen, einer stirbt anner Überdosis, da tut sich ständig was“. Alles viel zu interessant, als es der Nichtbeachtung zu überlassen.

Nach dem Umbau finden sich in den Räumen direkt hinter dem Headshop so ziemlich alle Punk-zines, die man zwischen Borken und Frankfurt/Oder auftreiben kann. „Die im Osten sind noch viel euphorischer, da kommt die Subkultur jetzt erst richtig hoch“, informiert Theo.

Fast tausend Platten und Kassetten stapeln sich in der Punkwelt an der Marktstraße. Meistens stammen sie von eher unbekannten Bands aus dem In- und Ausland. Doch auch von Kultstars wie G.G. Allen gibt–s Raritäten, die man sonst nirgends bekommt. Der Bestand an Platten, Zines und Videos soll weiter wachsen.

Eine schmale Treppe, von gold und orange bemalten Rosettentäfelungen flankiert, führt in die Tiefen des Gebäudes, wo noch Anarchie aus Baumaterial und Werkzeug herrscht. Nach abgeschlossener Renovierung soll auch hier im Keller alles rund um den Punk beheimatet sein: HipHop, Goa, Gothic, Ska, OI, Hardcore und allerlei aus anderen Undergroundstilen.

„Wir schauen jetzt mal, wie das alles anläuft“, schwärmt Theo schon von neuen Projekten. „Mal sehen, wir würden ja gerne die Chaostage nach Hamburg holen, aber dann als gutorganisiertes Kulturding, so wie es eigentlich auch mal geplant war. Und das sieht bisher ganz gut aus.“ Zu Weihnachten gibt es auf jeden Fall ein großes Solikonzert, soviel steht fest. „Viele Gruppen haben schon zugesagt, die spielen umsonst für uns, und dann mal sehen.“

Die Punkszene ist groß und lebendig, wie schon jetzt die große Resonanz auf das Schreiben von Theo und seinen Kumpels zeigt, „da können wir in Zukunft noch richtig viel machen. Weißt du, man sieht ja nie ganz, was sich inner gesamten Szene tut, wenn man sich ein paar Zines kauft, bist du schnell blank und hast doch nur einen kleinen Lichtblick, deshalb wird das jetzt größer, verstehst du.“