OSZE hält sich in Belgrad bedeckt

■ Delegation will bald Bericht über Wahlen vorlegen. Proteste der Opposition gehen weiter. Milošević plant Großdemo

Belgrad (taz) – Nach knapp zweitägigen Informationsgesprächen hat die OSZE-Delegation gestern die jugoslawische Hauptstadt wieder verlassen. Eine Stellungnahme zum Streit zwischen der serbischen Opposition Zajedno und der Regierung über die Anerkennung der Kommunalwahlen vom 17. November vermied die Delegation.

Auf einer Pressekonferenz am Samstag abend griff Delegationschef Felipe González zu sibyllinischen Formulierungen: „Ich glaube, daß beide, Opposition und Regierung, eine sehr gute Grundlage haben“, sagte er. „Grundsätzlich“, so fügte er zur Beruhigung der Opposition hinzu, „sage ich, daß Jugoslawien die internationale Gemeinschaft braucht und die internationale Gemeinschaft Jugoslawien, aber ein demokratisches, rechtsstaatliches Jugoslawien.“

Er werde der OSZE noch vor Ende des Jahres einen Bericht vorlegen. Auf der Grundlage dieses Berichts werde die OSZE dann schnell eine Entscheidung treffen. Sowohl die Opposition als auch die Regierung hatten der OSZE-Delegation ihre Dokumente über den Ausgang der Wahlen vorgelegt.

Milošević hatte nach der Unterredung mit der Delegation über die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug verbreiten lassen, er erwarte, daß die OSZE das verzerrte Bild über die Wahlen zurechtrücke. Die Beziehungen zwischen der OSZE und Jugoslawien sollten normalisiert werden.

Während González nach dem Treffen mit Zajedno am Nachmittag keinen Kommentar abgeben wollte, sagte Oppositionsführer Vuk Drašković, die Delegation sei „schockiert“ gewesen über die Unterlagen, die den eindeutigen Wahlsieg von Zajedno in Belgrad belegten. Neuwahlen, so Drašković, lehne die Opposition ab, solange Milošević die Medien und die Gerichte kontrolliere.

Im Gegensatz zur OSZE setzte der US-Sondergesandte John Kornblum weitere Besuche in Belgrad aus. Er sagte, er habe Milošević lange vor den Demonstrationen zu demokratischen und wirtschaftlichen Reformen gedrängt. Milošević sei kein stabilisierender Faktor mehr. Wenn Serbien nicht demokratisch werde, könne es in der gesamten Region keinen dauerhaften Frieden geben.

Auf der täglichen Kundgebung von Zajedno, an der am Samstag wieder rund 100.000 Menschen teilnahmen, wurde ein Interview des montenegrinischen Informationsministers Bulatović mit der französischen Zeitung Le Figaro bejubelt. Danach habe Milošević die Wahlniederlage in Belgrad und Nis ihm gegenüber in einem Telefonat zugegeben. Am Nachmittag hatten rund 20.000 Studenten erneut die Anerkennung der Wahlergebnisse gefordert.

Unterdessen setzte die Regierung ihre Angriffe gegen die Opposition fort. Miloševićs Ehefrau Mirjana Marković bezeichnete die Demonstrationen als „Konzept des Bürgerkriegs“. In verschiedenen Provinzorten wie im westserbischen Laznica und in Pozarevac, 50 Kilometer südlich von Belgrad, waren am Freitag abend Gegendemonstrationen zugunsten von Milošević abgehalten worden. Einige Demonstranten erklärten, ihnen sei im Falle einer Nichtteilnahme mit Entlassung gedroht worden.

In der Industriestadt Kraguejevac, südlich von Belgrad, standen sich 3.000 Milošević-Anhänger und 5.000 Gegendemonstranten gegenüber. Es kam zu Schlägereien. In Belgrad hatte sich am Freitag erstmals ein Bus voller Miliz am Rande der Terazije plaziert. Angeblich plant Milošević in den nächsten Tagen eine Großkundgebung seiner Anhänger in Belgrad. Trotz der angestrebten Vermittlung der OSZE halten Beobachter ein gewaltsames Eingreifen der Miliz nicht mehr für ausgeschlossen. Georg Baltissen

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