Die Einsparpotentiale sind beim Senat

Der ehemalige Innensenator Pätzold fordert, vor einer Bezirksneugliederung die Senatsverwaltungen einer Generalreform zu unterziehen. Eine Untersuchung der Hauptstadtetats zeigt: Die Senatsbürokratie wächst ungebremst  ■ Von Erich Pätzold

Das Land Berlin muß auch bei seinen Organisationsstrukturen alle Anstrengungen unternehmen, um durch tiefgreifende Änderungen einen drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Gefordert ist vielmehr entschlossenes, realitätsbezogenes Handeln aller für das Gemeinwohl.

Die erste Ursache für das Finanzdesaster in Berlin liegt darin, daß die Bundesregierung die Bundeshilfe nach dem Mauerfall allzu abrupt eingestellt hat. Die zweite Ursache liegt in der Unfähigkeit der Berliner Führung, seit 1991 der gänzlich gewandelten Finanzlage auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Statt die Haushaltspolitik zügig von Grund auf umzusteuern, sind Milliarden neu in gigantomanische Großprojekte (etwa für eine vage Olympia-Hoffnung) oder weiter in den riesigen Wasserkopf der Verwaltung gesteckt worden.

Die Verantwortung für ein halbes Jahrzehnt verfehlter Haushaltspolitik trifft naturgemäß vorrangig den Regierungschef und seinen bis vor einem Jahr amtierenden Finanzsenator. Das muß immer wieder hervorgehoben werden. Einerseits wird ebenso hartnäckig wie koalitionsgefährdend versucht die Finanzsenatorin dafür zu beschimpfen, daß sie mit der nötigen harten, kompetenten Hand das in anderer Ressortverantwortung angestaute Finanzchaos wieder in Ordnung bringen will. Andererseits läßt die CDU die Finanzsenatorin bei wirklich durchgreifenden Strukturverbesserungen, die allein den Haushalt sanieren können, populistisch im Stich.

Das magere Ergebnis dramatischer, wochenlanger Haushaltsklausuren des Senats macht das mehr als deutlich. In jedem der nächsten Jahre muß eine Haushaltslücke von vielen Milliarden geschlossen werden. Wer aber dem Drängen der Finanzsenatorin zuwider für 1997 mit Müh und Not nur eine gute Milliarde Ausgabekürzungen und Einnahmeerhöhungen zusammenkratzt und keine einschneidenden, auf Dauer den Haushalt wirksam entlastenden Strukturverbesserungen zustandebringt, der hat den neuen Weg in eine bessere Zukunft versäumt. Bezeichnend ist, daß der Senat die Bezirke bei der Lastenverteilung nicht nur massiv benachteiligt, sondern nicht einmal für eine allseits faire Lösung in die Klausurentscheidungen einbezogen hat.

Jeder weiß inzwischen, daß die ohnehin unausweichliche Verwaltungsreform auch das einzige dauerhafte Mittel zur Haushaltskonsolidierung ist. Erst wenn wir die einzelnen Verwaltungsleistungen für die Bürger und deren Kosten mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten durchschaubar gemacht haben, werden wir auch die vielen (Blind-)„Leistungen“, besonders in den Wasserköpfen der zentralen Verwaltungen erkennen und beseitigen können, die für die Bürger völlig nutzlos, ja behindernd sind und Unsummen verschlingen.

Tiefe Einschnitte sind überfällig beim Senat

Breit angelegte Einschnitte in die allzu üppigen Organisationsstrukturen sind also überfällig. Sie müssen in sich stimmig und richtig gewichtet und getimt sein, wenn sie die unverzichtbare Akzeptanz in der Bürgerschaft, bei den Verwaltungsmitarbeitern, ihren Personalräten und Gewerkschaften finden sollen. Umso schädlicher, gerade auch für die SPD, ist es, wenn einige auf ihre Weise immer wieder öffentlich dazu beitragen, die gesamte Strukturproblematik faktisch auf eine Bezirksgebiets-„Reform“ als scheinbares Hauptthema zu verengen. Gewollt oder ungewollt wird damit von den vorrangigen und viel einsparträchtigeren Reformnotwendigkeiten abgelenkt, die überhaupt erst die fehlenden Milliarden bringen können.

Eine Bezirksgebiets-„Reform“ wäre bislang nur eine aus dem Ärmel geschüttelte Zusammenlegung, ohne daß ein einziger Befürworter seriöse Untersuchungen über optimale Betriebsgrößen, stadtteil- und bürgernahe Unterorganisation, Kosten-/Nutzen-Verhältnis und organisch zueinander passende Stadtteile für nötig gehalten hätte. Wer für eine Fast-Halbierung der Zahl der Bezirke die unrealistische Einsparsumme von jährlich 200 Millionen DM vorrechnet, wäre nur glaubwürdig, wenn er für die gerade vollzogene Fast-Halbierung der Zahl der Senatsverwaltungen eine ähnliche Größenordnung einfordert. Davon ist nichts zu sehen. Wer Stadträten und Bezirksverordneten Eigeninteresse vorhält, wird doch wohl Eigeninteresse bei einem immer noch zu großen Abgeordnetenhaus und Senat, bei seinen nach Ostblock-Art inflationierten Staatssekretären und anderen Spitzenbeamten nicht übersehen wollen. Die Hauptverwaltung wächst seit 1950 in einem fort. (Siehe Grafik)

Die SPD hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß er sich der Frage einer vernünftigen, auf sichere Daten gestützten Bezirksneugliederung nicht verschließt, wenn die anderen, vorrangigen und viel einsparträchtigeren Reformschritte gleichermaßen vollzogen werden. Es besteht aber die große Gefahr, daß die bezirklichen Mitarbeiter, die sich neben ihrer eigentlichen Arbeit so sehr für die inhaltliche Verwaltungsreform engagieren, endgültig überfordert wären und die Reform zusammenzubrechen droht, wenn diese Mitarbeiter ausgerechnet in der entscheidenden Reformphase auch noch alle Belastungen einer Bezirkszusammenlegung auf sich nehmen müßten – alles Überbeanspruchungen, die große Teile der Hauptverwaltung bisher überhaupt nicht kennen und daher kaum nachempfinden können.

Aus all diesen Gründen muß zur Optimierung ein ganzes Bündel konkreter, schneller Verbesserungen der Organisationsstrukturen durchgesetzt werden. Dabei kommt es auch auf kleinere Schritte von hohem Symbolwert an. Denn ohne eine sehr bewußte, untadelige Vorbildwirkung „oben“ ist keinem Bürger, keinem Verwaltungsmitarbeiter zu vermitteln, daß beim kleinen Mann „unten“ bis zum letzten eingespart werden müsse, „oben“ aber weiter kostspielig Ämter in einer Weise wahrgenommen werden, die sich finanziell weniger belastete Bundesländer und Großstädte nicht leisten.

– In einer grundlgenden Verwaltungsreform für die gesamte Hauptverwaltung liegen ganz wesentliche Vereinfachungs- und Einsparpotentiale. Die Kosten- und Leistungsrechnung auch dort für 1997 Ergebnisse liefern. Die vielen der Verfassungsabgrenzung zuwider bei der Hauptverwaltung liegenden Aufgaben, die keine Führungsaufgaben darstellen, sind zur überfälligen Wiederverschlankung der Senatsebene als Führungsebene gesetzlich den Bezirken zuzuweisen.

– Wie in der Koalitionsvereinbarung vorgegeben, werden alle Verwaltungvorschriften des Senats und seiner Mitglieder, die nicht nur für den eigenen Geschäftsbereich eines Senatsmitglieds erlassen worden sind, sofort aufgehoben, und zwar durch Gesetz. Die zeitliche unbegrenzte Geltung von Verwaltungsvorschriften der Senatsverwaltung für Inneres wird der allgemeinen Regelung (gesetzliches Außerkrafttreten nach 5 bzw. 10 Jahren) unterworfen.

– Durch ein modernes, knappes Eigenbetriebsgesetz werden Bezirke wie Hauptverwaltung zur Optimierung von Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit in die Lage versetzt, geeignete Einrichtungen aus der eigentlichen Verwaltung auszugliedern und möglichst als Eigenbetriebe zu führen.

– Die verfasssungsmäßige Zahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses wird mit Wirkung für die nächste Wahlperiode auf 100/120 festgesetzt. Das Verhältnis von Direkt- zu Listenmandaten ist auf 50 zu 50 zu begrenzen, um die unerträglich hohe Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten wirksam einzudämmen.

– Die in der Verfassung vorgesehene Höchstzahl von 10 Senatoren darf bei der nächsten Senatsbildung nicht mehr voll ausgeschöpft werden. Die erst in den 80er Jahren durchbrochene Selbstverständlichkeit, daß wie in anderen Ländern jedem Senator höchstens ein (in kleineren Senatsverwaltungen: kein) Staatssekretär beigegeben ist, wird gesetzlich verankert.

– Auch in Berlin ist für künftige Bezirksamtsmitglieder, Staatssekretäre, Abteilungsleiter und weitere herausgehobene Führungskräfte durch Landesgesetz statt des bisherigen Beamtenstatus ein besonderes „öffentlich-rechtliches Amtsverhältnis“ auf Zeit zu schaffen, das flexiblere, gerechtere Regelungen möglich macht.

– Nach der Rückführung des Senats auf 10 Senatsverwaltungen ist die Zahl der Fachabteilungen und -referate mindestens auf jenes knappe Maß einzuschmelzen, das vor Jahrzehnten – vor der Senatsinflationierung – bestand.

Bis die Haushaltskonsolidierung vollzogen und der vor allem in der Hauptverwaltung übergroße Personalbestand drastisch zurückgeführt ist, gibt es mindestens im höheren Dienst keinerlei Stellenhebungen mehr.

Die inflationierte Zahl der personengebundenen Dienstwagen, nicht zuletzt wegen der Staatssekretärs-Verdopplung, wird auf ein vertretbares Maß zurückgeführt.

Die Zahl der Bezirke wird mit Wirkung für die nächste/übernächste Wahlperiode festgesetzt. Über Zeitpunkt und Zahl ist nach einer breiten Debatte zu entschieden.

-Das nur in Berlin geltende, dem deutschen Gemeinderecht ebenso wie jedem Demokratieverständnis fremde Proporz-Prinzip bei der Bildung der Bezirksämter (Anfang der 70er Jahre von der CDU zur Ämtersicherung bei einer Verfassungsänderung in einem einfachen Gesetz ertrotzt) wird aufgehoben, weil es politische Verantwortung erschwert und verschleiert und das Bürgerinteresse an gestaltungsfähiger Politik noch weiter sinken läßt.