Auf der Nationalstraße 1

Longtrail Vietnam: 2.500 Kilometer von Saigon nach Hanoi mit Motorrädern. Richtig Gas geben geht selten, oft endet eine gute Asphaltstrecke in heimtückischen Schlaglöchern  ■ Von Petra Gall

Hupkonzert und ein Gewusel. Es ist Rush-hour in Ho Chi Minh City/Saigon. Ich genieße die Stadtrundfahrt im Cyclo, der Fahrradrikscha, die mein Chauffeur mit schlafwandlerischer Sicherheit durch den teilweise anarchistischen Verkehr bewegt. Kaum Autos, aber Tausende von Rädern, Rollern und knatternden Mopeds, die sich mit „tut, tut!“ den Weg bahnen, beladen mit Kleinfamilien, Schränken, Federvieh, Matratzen...

Saigon boomt: Hotels, Restaurants, Banken und Geschäfte sprießen wie Pilze aus dem Boden. „Doi Moi“, die vietnamesische Perestroika, scheint zu funktionieren. Daß Vietnam ein sozialistisches Land ist, ist kaum zu glauben. Es scheint alles zu geben. Oder, wie es der riesige Ben-Than-Markt formuliert: „Was wir nicht haben, das brauchen Sie auch nicht.“

Vier Frauen und fünf Männer aus Deutschland haben es sich in den Kopf gesetzt, Vietnam von Süden nach Norden auf der Nationalstraße N1 zu erfahren, auf japanischen Softchoppern. Unsere Tour ist etwas Besonderes, denn in ganz Vietnam gibt es kaum Motorräder über 175 ccm. Zum einen aufgrund des zwanzigjährigen Embargos, zum anderen, weil seit 1993 die Einfuhr verboten ist. Mit den Leihgaben eines Saigoner Motorradclubs, von Yamaha Cirago 750 bis Honda 500 „Güllepumpe“, wagen wir uns in den brodelnden Verkehr. Bereits nach wenigen Kilometern bremsen uns die ersten Pannen: ein platter Reifen und ein gerissener Kupplungszug. Zum Glück begleiten uns die Mechaniker Luc und Hai, denn für diese Motorräder gibt es unterwegs keine Werkstätten, geschweige denn Ersatzteile.

Aufatmend verlassen wir 70 Kilometer hinter Saigon die vollgestopfte staubige N1 und biegen auf die N20 ab, die ersten Kautschukplantagen sind zu sehen. Am Straßenrand, in den Abgaswolken, werden Reis, Mais, Kaffee, Tabak und Feuerholz getrocknet.

Da Lat liegt auf 1.475 Metern Höhe, viele Villen und Chalets zeugen von den Sehnsüchten heimwehkranker Europäer. Es galt und gilt als Luftkurort und „Garten Süd-Vietnams“, in diesem Klima gedeihen sogar Erdbeeren. Im Hotel Phu Hoa sorgen wir für Trubel, die Bikes werden einfach vor dem Tresen der Rezeption geparkt.

Zurück zur N1, die auf der landschaftlich schönen Küstenstrecke zwischen Nha Trang und Qui Nhon einem Sturzacker gleicht. Unser Knochenpuzzle dürfen wir sowieso nach jeder Etappe neu ordnen. Meist rollen und holpern wir mit 50 bis 60 km/h, in den Orten mit 10 bis 40 km/h. Richtig Gas geben können wir selten, oft endet eine gute Asphaltstrecke in heimtückischen Schlaglöchern.

Hoi An, dessen Holz- und Steinhäuser weitgehend im frühen 19. Jahrhundert errichtet wurden, wirkt wie ein verschlafenes Städtchen, in dem die Zeit vor 150 Jahren stehenblieb. Ich sitze in der Dämmerung in einem alten chinesischen Café bei Garnelen mit grüner Papaya und versuche mir vorzustellen, wie es hier aussah, als Hoi An mit Malakka und Macau zu den führenden Häfen Südostasiens gehörte, Dschunken, Seeräuber... Kurz vor Danang ragen fünf Hügel aus der platten Landschaft, die Marmorberge. Keuchend besteigen wir den Berg Thuy Son mit mehreren Grotten und Pagoden. Am meisten beeindruckt uns die riesige Huyen- Khong-Höhle. Die durch den Krieg entstandenen Löcher lassen je nach Lichteinfall und zusammen mit den dichten Schwaden der Räucherstäbchen eine mystische Atmosphäre entstehen.

Noch leicht benebelt suchen wir uns den Weg durch den chaotischen Verkehr von Danang und genießen danach die Serpentinen und grandiosen Ausblicke des 496 Meter hohen „Wolkenpasses“. Wie ein Paradies breitet sich am Fuß der Berge die Lagune von Lang Co aus, wo wir uns in einer Fernfahrerkneipe die Fischgerichte schmecken lassen.

Hue wurde ab 1802 als Kaiserstadt innerhalb der Zitadelle aufgebaut, als bewußte Kopie von Peking. Bis 1945 war es unter den 13 Kaisern die politische Hauptstadt Vietnams. Heute lassen die verbliebenen Reste dies nur noch erahnen, die Kriege und das tropische Klima haben vieles zerstört.

Wir überqueren die frühere Grenze zwischen Süd- und Nord- Vietnam auf einer wenig vertrauenerweckenden Brücke über dem Fluß Ben Hai am 17. Breitengrad und biegen nach Vinh Moc ab. Das fast drei Kilometer lange Tunnelsystem diente der Bevölkerung und den Widerstandskämpfern während des Krieges als Unterschlupf und Versorgungsbasis, Klinik und Entbindungsstation. Es ist unvorstellbar, wie die Menschen in diesen Tunneln leben konnten, ohne Tageslicht und Lüftung. Es ist stockdunkel, eng, stickig und staubig. Die kurze Strecke, die zur Besichtigung freigegeben ist, scheint endlos zu sein.

Das Bild auf der N1 wandelt sich merklich. Weniger Mopeds begegnen uns, dafür mehr Räder und Karren mit Wasserbüffeln, und alle bewegen sich gemächlich und ohne nach links und rechts zu schauen. Die N1 als Dorfstraße. Über mangelnde Kontakte können wir nicht klagen, bei jedem Halt sind wir sofort von Menschentrauben umringt.

Ninh Binh kann sich einer der schönen Landschaften Vietnams rühmen, der „Trockenen Halong- Bucht“. Bizarre Kalksteinformationen stehen im grünen Meer der Reisfelder. Mit einem Sampan lassen wir uns durch die „Drei Grotten“ rudern. Kein Hupen, kein Knattern, statt dessen das penetrante „Madame, Madame, Monsieur, Monsieur“ der Souvenirverkäuferinnen. Wir flüchten.

Im Morgennebel verlassen wir die N1 und wenden uns nach Westen. In Hoa Binh empfängt uns eine Muong-Familie mit Tee, Früchten, Reiswein und Schnaps. So vorbereitet sind dann die letzten 70 Kilometer bis Hanoi nur noch ein Klacks.

Im Vergleich zu Saigon wirkt Hanoi trotz des Verkehrs fast gemütlich, grüne Alleen, gelbe Kolonialfassaden, Villen mit großen Gärten – eine seltsam geschlossene Bebauung aus der französischen Kolonialzeit, der weder die Kriege noch der Sozialismus größeren Schaden zufügten. Jedoch nagen das Klima und der Zahn der Zeit an der Substanz, es fehlt das Geld zur Erhaltung.

Abends ist Tanzen angesagt. Eine Clique Vietnamesen nimmt mich ins „Royal Palace“ mit. Leider bin ich vollkommen underdressed, vertraue jedoch auf meinen Exotikbonus als blonde Langnase und wage mich mit Jeans und Motorradstiefeln auf die Tanzfläche. Um mich herum lächelnde Mädchen in leichten Abendkleidern! Ich muß tags darauf noch darüber lachen, als ein junger Schuhputzer meine Stiefel mit Zahnbürste und Wichse bearbeitet. Er, der gar nicht weiß, warum ich lache, lächelt zurück. Das ist es, was ich in Deutschland vermissen werde, das vietnamesische Lächeln. Und das „Tut, tut, knatter!“.