„Damit Ihr über den Tod von Tante Berta lacht“

■ Beim Dianetik-Schnupper-Workshop der Scientology-Mission in Bremen: PR, Kaffee und der Lockruf, gute CLEARs zu werden / Ein Erlebnisprotokoll

Ein Empfang, als wäre ich Honorarkonsulin. Osterdeich 27, Scientology-Mission Bremen. Im dezent beleuchteten Foyer lächelt mir eine Empfangsdame entgegen. Von der Seite ummantelt mich eine Adrette mit ihrem Parfum: Ich wolle zum Dianetik-Workshop? Da trage ich mich doch am besten gleich in die Adressen-Liste ein. Fünf Minuten später habe ich ein blaues Namensschild am Pullover, im Salon meinen Kaffee getrunken, meine Kreuzchen auf dem Fragebogen zu Beruf, Alter und Einkommen erledigt. Meine Jacke hängt weit weg in der Garderobe und ich sitze im Seminarraum unter einem bombastischen Kronleuchter aus dem vorigen Jahrhundert.

Mit mir zehn andere Personen. Acht Männer, drei Frauen, Durchschnittsalter um die Vierzig. Scientology Bremen hat Sonntag nachmittag zum kostenlosen Einblick in die Organisation eingeladen. „Und unverbindlich“ köderte die Eintrittskarte, die eine Mitarbeiterin letzte Woche in der Sögestraße verteilt hatte. Nun hat man uns Suchende also in bester PR-Manier ins Haus eingeführt und im klassizistischen Saal an weiße Seminartische auf Klappstühle plaziert. Das Konterfei von Gründervater L. Ron Hubbard in mehrfacher Ausführung an der Wand, auf dem Kaminsims stapelt sich sein Standardwerk von 1949, „Dianetics“. Lernen Sie, die DIANETIK in Ihrem Leben anzuwenden, so die Eintrittskarte.

Vorne an der Tafel zückt ein Grauhaariger im Andy-Warhol-Verschnitt den Edding-Stift. „Habt Ihr das Dianetik-Buch gelesen?“ fragt er locker amerikanisch akzentuiert. Zwei Männer vor mir nicken, eine Frau hebt die Hand. „Also, dann erklär ich Euch nochmal, was Dianetik ist.“ Von Bildern im Kopf spricht er, die sich aneinanderreihen und eine Zeitspur ergeben. Von negativen Gefühlen, die sich dazwischendrängen und immer wieder auftauchen, auch an Stellen, an welchen sie nichts zu suchen haben. „Diese negativen Emotionen müßt Ihr rausholen, hey“ – animiert der Seminarleiter und malt die „Lebensenergie-Skala“ auf, die wie folgt absteigt: Von Begeisterung über Langeweile, Wut, versteckte Feindseligkeit, Angst, Trauer, Apathie bis runter zum Tod. „Ihr müßt Euch nach oben arbeiten auf der Skala, so, daß Ihr zum Beispiel über den Tod von Tante Berta lachen könnt.“ Hinter mir gluckst einer wie bestellt. Ich vermute, daß hier im Raum nur etwa die Hälfte zum ersten Mal da ist.

Andy Warhol legt das Werbe-Video ein. Sonnenuntergänge leuchten uns entgegen, glückliche Familien streunen durch grüne Wiesen, ScientologIn-nen strahlen in die Kamera: Mein Leben hat sich verändert. Wir erfahren, daß dies an den sogenannten Sitzungen, dem Auditing, liegt: Zwei Menschen sitzen sich gegenüber, „Auditor“ und „Preclear“. Der oder die Auditor fragt, der oder die Preclear antwortet. „Schließe deine Augen“ (Auditor). „Wir werden ein Geschehnis in deinem Leben finden, von dem du eine exakte Aufzeichnung hast. Indem ich dich mehrmals durch das Geschehnis schicke, und zwar zu dem Zeitpunkt, als es geschehen ist, werden wir es reduzieren.“

Das Geschehnis muß explizit ein unangenehmes, mit Schmerzen verbundenes sein. Der Preclear soll immer wieder durch dieses Geschehnis „hindurchgehen“, um letztlich „das Zeug loszuwerden und die Ladung abzugraben“, wie unser Seminarleiter zuvor erklärt hatte. Dann wird der Preclear wieder in die Gegenwart zurückgeholt; mit dem Stichwort gelöscht „wird alles, was ich dir während der Sitzung gesagt habe, gelöscht sein und keine Macht über dich haben. Jede Suggestion, die ich dir gegeben habe, wird ohne Kraft sein, wenn ich das Wort ,gelöscht' sage“ (so der Pflichttext des Auditors). Heraus kommen dem Video zufolge Smileys, schmerzfreie menschliche Wesen, die ausschließlich vernunftgesteuert agieren und am Horizont das Licht erblicken, die CLEARs. Ein Großteil des Scientology-Vokabulars wird an dieser Stelle ausgespart (s. auch Kasten).

Workshop-Pause. Im Salon stehen Kaffee, Tee, Kuchen und Häppchen bereit. Diejenigen mit den blauen Namensschildern auf der Brust werden umgehend von denjenigen ohne angesprochen. „Zum ersten Mal hier?“ Frau L., die sich auf Nachfrage als PR-Chefin zu erkennen gibt, rückt dicht auf und erzählt davon, daß sie vor zehn Jahren durch Scientology ihr Rheuma-Leiden loswurde. Jetzt möchte sie anderen Menschen helfen. Frau L. lobt mein Interesse – die BremerInnen seien ja ansonsten eher zurückhaltend gegenüber der Mission. Sie wollen sich partout nicht so recht organisieren. Deshalb habe man diese Workshops jetzt angefangen, sie sollen jeden Sonntag stattfinden. „Sie können sich aber auch jederzeit von Professionellen auditieren lassen“, raunt Frau L. – Auf meine Frage, wer professionell sei, sagt sie: Diejenigen, die das schon lange machen.

Ich muß zur Toilette. Frau L. führt mich bis vor die Tür, reingehen darf ich alleine. Kaum bin ich wieder draußen und werfe einen Blick auf das monströse Organisations-Schaubild, steht die junge Frau T. neben mir, duzt mich und erläutert, daß es ihre Aufgabe sei, Leute anzusprechen. Der Seminarleiter unterbricht uns, er möchte mit einer Live-Auditing-Demonstration fortfahren. Seine Preclear ist in diesem Fall Frau T. – Sie erzählt uns zehnköpfigem Auditorium ein „Geschehnis“ aus ihrer Kindheit, von einem Hund, der ihr Angst eingeflößt hat. Vorführgetreu erinnert sich Frau T. immer wieder von vorne, dazu minutenlang mit geschlossenen Augen gähnend und hysterisch lachend. (Ist sie bekifft?) Mein Blick schweift zur Seite. Dort hängt der Computerausdruck Ein CLEAR hat: einen IQ über 135, kreatives Vorstellungsvermögen, erstaunliche Lebendigkeit, tiefe Entspanntheit, gutes Gedächtnis, starke Willenskraft, gute Selbstkontrolle, strahlende Gesundheit, eine anziehende Persönlichkeit.

Ich versuche, vorzeitig zu gehen. „Was ist los?“ springt PR-Chefin Frau L. auf. Ich äußere mein eigenes Bedauern. „Kaufen Sie doch wenigstens das Buch! Die Buchhandlungen wollen es ja nicht nehmen! Wir haben auch schöne Kommunikationshefte! Kommen Sie morgen nochmal vorbei – Sie können das Auditing problemlos an einem Tag intensiv lernen! Ich vermittle Sie gern!“ Ich nicke nur.

Ottilie Seitz