Kein Abschiebestopp für armenische Christen

■ Innensenator lehnt Aufenthaltsduldungen ab / 28 Menschen von Ausweisung bedroht

Verzweifelt, verunsichert, verfolgt. Das ist die momentane Lage der armenischen Familie F. Vater Sefer, seine Frau, die Tochter und die beiden Söhne sind christlichen Glaubens und kommen aus der Türkei. Damit zählen sie zu einer kleinen Minderheit von etwa 50.000 Personen in der Türkei, die sich immer stärkeren Repressalien ausgesetzt sieht. Besonders seitdem die nationalistisch-fundamentalistische Erbakan-Regierung das Ruder in der Türkei übernommen hat.

Nun sitzt Familie F. aber nicht in Ost-Anatolien oder in Istanbul, sondern in der Hansestadt Bremen. Nur wie lange noch? Am 20. Januar sollen sie abgeschoben werden. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt. Ähnlich ergeht es weiteren neun Familien – insgesamt 28 Personen.

„In der Türkei haben wir keine Luft zum Atmen. Ich habe Angst, mit meiner Familie auf der Straße zu landen.“ Vater Sefer F. bangt um die Familie, um ihr Leben. Zuletzt sind im Sommer 1996 sieben armenische Christen in die Türkei abgeschoben worden. Die Flughafenpolizei nahm sie direkt bei der Ankunft in Istanbul fest – für mehrere Tage, ohne Begründung. So etwas passiert den Christarmeniern häufig, sagt die Rechtsanwältin von Sefer F., Renate Blöhbaum. Bei Gottesdiensten werden sie mit Steinen beworfen oder angespuckt. Behördengänge enden nicht selten mit heftigen Repressalien.

„Was zur Zeit in der Türkei mit dieser Volksgruppe gemacht wird, ist ein stiller Genozid“, konstatiert Anwältin Blöhbaum. Wiederholt seien türkische Regierungen restriktiv gegen diese Menschen vorgegangen. „Der Höhepunkt dieses Genozids war in den Jahren von 1915 bis 1920. Damals sind etwa zwei Millionen armenische Christen in der Türkei umgekommen.“

So akut ist die Lage zur Zeit nicht. Die türkische Regierung verfolgt eher eine Strategie der Zwangsassimilierung. Unter anderem wurden armenische Christen während ihres Militärdienstes zwangsbeschnitten. Ihre eigene Religion in diesem Umfeld auszuüben – davon kann keine Rede sein. „Da sich diese Zwangsassimilierung aber immer noch auf einem relativ niedrigen Niveau bewegt, stehen die armenischen Christen in Deutschland vor dem Problem, daß die Restriktionen nicht asylrelevant sind. Obwohl die Bombe jederzeit – durch die Erbakan-Regierung geschürt – hochgehen kann“, befürchtet Anwältin Blöhbaum.

Dies jedoch will die Bundesinnenministerkonferen nicht so recht einsehen. Stephan Luft, Sprecher von Innensenator Ralf Borttscheller (CDU): „Es gibt einen klaren Beschluß, keinen Abschiebestopp für christliche Minderheiten in die Türkei einzuführen. Senator Borttscheller hat sich im Sommer 1996 dafür zwar vehement eingesetzt, ist bei den Kollegen aber auf glatte Ablehnung gestoßen. Einen weiteren Vorstoß wird es angesichts dieser klaren Sachlage seitens der Bremer Regierung nicht mehr geben.“ Laut Luft sind der Innenverwaltung dadurch die Hände gebunden. „Sobald die Verwaltungsgerichte das Asylgesuch ablehnen, können wir nur noch abschieben.“

Anwältin Blöhbaum kontert: „Borttscheller hat auf jeden Fall das Recht, sechsmonatige Duldungen auszusprechen. Zudem sollte er sich dringend in der Innenministerkonferenz ein weiteres Mal stark machen für die christlichen Minderheiten in der Türkei. Seit Erbakan Tansu Ciller in der Regierung abgelöst hat, kann die Bombe jederzeit platzen. Ein neuer Vorstoß ist dringend nötig.“ Allerdings gibt es laut Borttscheller-Sprecher Luft die Übereinkunft in eben jener Konferenz, Duldungen nur mit gegenseitiger Abstimmung auszusprechen. Das Resultat: Sefer F. wird sich auf eine Zukunft in der Türkei einstellen müssen. Obwohl viele Freunde und Verwandte in Bremen wohnen. Dazu Blöhbaum: „Die haben alle ihre Asylgesuche vor der großen Koalition eingereicht. Damals galt noch eine gewisse sozialdemokratische Tradition, die der ehemalige SPD-Innensenator Bernd Meyer eingeführt hatte. Danach wurden diese Menschen in Bremen mit offenen Armen aufgenommen. Heute werden sie dagegen gnadenlos zurückgeschickt.“

Noch härter faßt der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Arendt Hindriksen die gültige Praxis zusammen: „Die Innenverwaltung treibt die Menschen juristisch korrekt zurück in die Arme ihrer Folterer. Das hat nichts mit verantwortungsvoller Politik zu tun.“ Jetzt tritt Sefer F. zusammen mit seinen Leidensgenossen die Flucht nach vorne an. Am Donnerstag wollen sie mit reger Unterstützung der kleinen armenischen Gemeinde vor die Innenverwaltung ziehen und für eine Revidierung ihres abgelehnten Asylgesuches demonstrieren. Das haben sie auch schon bei Bürgermeister Henning Scherf probiert. Genützt hat es nichts. jeti