Mißverständnis

■ betr.: „Die europäische Arroganz“ von R. Neudeck, taz vom 28.12. 96, LeserInnenbrief dazu in der taz vom 3.12. 96

Ich finde eine Diskussion zwar interessant, aber nicht unter der Voraussetzung, daß jemand einfach behaupten kann, ich hätte in der taz zur Wiedereinführung der Todesstrafe aufgerufen. Das hat in dem kleinen Kommentar, den ich fabrizierte, kein Fundament in dem Text.

Da ich es schon beleidigend finde, wie da mit meinem Argument umgegangen wird, ich auch nicht ausschließe, daß der Autor es nicht verstanden oder ich es nicht klar ausgedrückt habe, will ich es wiederholen. Ein Europa, das im Moment, da ein geplanter Völkermord beginnt, der am Ende bis eine Million viehisch Erwürgter, Zerhackter, Ersäufter, Zersäbelter zur Folge hat, pünktlich um der eigenen Sicherheit und Gesundheit seiner Soldaten willen diese abzieht; ein Europa, das später dann seine aufklärerischen Ideen und Charten hochhält der Regierung gegenüber, die die Nachfolgelasten dieses Völkermordes aufzuarbeiten hat, hat zumindest seine Rolle als „Lehrmeister“, als Mwalimu, als Maître verloren. Gründlich. Das meinte ich, als ich den Ausdruck „Striptease unseres Humanismus“ aus dem bis heute unüberholten Essay von Jean-Paul Sartre im Vorwort zu Frantz Fanons „Les damnés de la terre“ zitierte. Wir sind die Verräter an den Menschenrechten, inklusive Todesstrafeverbot. Wie kann man meinen kleinen, unschuldigen Text so radikal am Sinn vorbei verstehen? Ich wäre dafür, eine größere Debatte aus Anlaß dieses Mißverständnisses zu beginnen. Rupert Neudeck