Ein Land in den Fängen zweier Machtkartelle

■ Seit Monaten sehen Bulgariens regierende Sozialisten dem wirtschaftlichen Zusammenbruch tatenlos zu. Aber die Opposition hat auch kaum etwas vorzuweisen

Wenn vor 1989 unliebsame osteuropäische Regimekritiker mittels Giftinjektion aus einer Regenschirmspitze ermordet wurden, hieß das „Bulgarisierung“, benannt nach dem Erfinder der Methode, dem bulgarischen kommunistischen Geheimdienst. Seit einigen Monaten hat das Wort eine weitere Bedeutung: Es bezeichnet den Zusammenbruch einer Währung. So geschehen in Bulgarien im letzten Frühjahr.

Das Land erlebt seit einem Jahr die schwerste Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte. Die Inflation betrug 1996 311 Prozent. Die Lebenshaltungskosten verdreifachten sich, die Durchschnittslöhne sanken um mehr als die Hälfte. Ein Viertel der Banken sind pleite, Korruptionsaffären und illegale Hartwährungstransfers ins Ausland machen Schlagzeilen, die Devisenreserven der Zentralbank haben mit 518 Millionen Dollar einen Tiefstand erreicht; niemand hat mehr Vertrauen in die Währung.

Die Hälfte der neun Millionen Bulgaren lebt an oder unter der Armutsgrenze. Brotmangel gehört seit über einem Jahr zum Alltag. Viele Menschen sind derzeit nicht in der Lage, ihre Wohnungen vernünftig zu heizen, weil sie die Energiepreise nicht bezahlen können. In den Geschäften steigen die Preise täglich.

Seit den Demonstrationen vom Wochenende steckt Bulgarien nun auch in der schwersten politischen Krise seit dem Sturz des Diktators Schiwkow im November 1989. Die Gewalttätigkeit der Demonstranten verwundert dabei nicht: Seit Monaten sehen die regierenden exkommunistischen Sozialisten dem wirtschaftlichen Zusammenbruch praktisch tatenlos zu, ignorieren Demonstrationen und Streiks und reagieren weder auf Kooperationsangebote der Oppositionsparteien noch der Gewerkschaften. Auch Kriminalität gehört zunehmend zum Alltag. Seit Jahren steigt die Zahl schockierender Gewaltverbrechen, werden wöchentlich Bombenanschläge verübt, fallen Politiker und Geschäftsleute Mafia-Morden zum Opfer.

Verantwortlich für diese Zustände ist in erster Linie die Polarisierung des politischen Lebens zwischen den beiden Machtkartellen Bulgariens: der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Union der Demokratischen Kräfte (SDS). Beide sind in sich zerstrittene Bündnisse mit mehr als einem Dutzend von Parteien und Gruppierungen, die im Fall der BSP von orthodoxen Kommunisten bis zu Sozialdemokraten rangieren, im Fall der SDS von Monarchisten bis zu Neoliberalen. Abseits von Programmen, die lediglich auf dem Papier stehen, vereint die Sozialisten die diffuse Hoffnung auf einen sozial abgefederten Übergang zur Marktwirtschaft, die SDS dagegen ein fanatischer Antikommunismus.

Seit November 1989 haben sich die beiden Bündnisse mehrfach an der Macht abgewechselt. Seit den ersten freien Wahlen vom Juni 1990 gab es nur vorgezogene Wahlen. Und die Regierung unter Ministerpräsident Schan Widenow, der kurz vor Weihnachten zurücktrat, war die sechste postkommunistische.

Aber weniger ihre vernichtende Bilanz veranlaßte Widenow zum Rücktritt, sondern eher die Resignation vor den Auflösungserscheinungen bei den Sozialisten. Die parteiinternen Fraktionen legen sich gegenseitig lahm, und hinter sozialdemagogischen Losungen wird immer mehr die Kontur einer korrupten, machtgierigen Klientelorganisation sichtbar.

Eine Alternative dazu ist die Union der Demokratischen Kräfte nur bedingt. Aus ihrer Regierungszeit kann die SDS kaum etwas vorzeigen, was sie als entschlossene und fähige Reformkraft ausweisen würde. Die Regierung unter Filip Dimitrow führte 1992/93 einzig die Rückgabe von Land und Immobilien an Alteigentümer erfolgreich durch.

Der fanatische Antikommunismus der SDS offenbart häufig einen Mangel an demokratischem Verständnis. Das Bündnis ist genauso zerstritten wie die Sozialisten. Ein Versuch, daraus eine einzige Partei zu schaffen, scheiterte im letzten Herbst. Und nicht zuletzt hat die SDS in den vergangenen Monaten bei zahlreichen Gelegenheiten bewiesen, daß sie ebensowenig fähig ist, politisch zu handeln, wie die Sozialistische Partei. Groteskes Beispiel dafür war der Streit um das bulgarische Staatswappen, der sich Mitte letzten Jahres mehrere Monate hinzog. Die Sozialisten hatten im Parlament den goldenen Löwen ohne Krone durchgesetzt – die Union der Demokratischen Kräfte beharrte auf der Krone als Symbol der Vorkriegsmonarchie. Keno Verseck