„Nicht milder als Bayern“

■ Bremer „Nazi“ wegen Verbreitung eines „Asylbetrüger-Gedichts“ verurteilt

Am Ende war Amtsrichter Hoffmann konsequenter als der Staatsanwalt. Hoffmann verurteilte den Bremer Reinhard-Justus Becker zu 1.350 Mark Geldstrafe, weil er ein Gedicht mit dem Titel „Asylbetrüger“ im Sommer letzten Jahres in der Hansestadt verteilt hatte. Becker stand deshalb wegen Volksverhetzung gestern vor dem Bremer Amtsgericht. Geständig und uneinsichtig. Staatsanwalt Tietze hatte Becker nach einer zähen und mühseligen Hauptverhandlung für schuldig erklärt, „jedoch für mich keinesfalls zweifelsfrei“. Richter Hoffmann gab sich entschlossener und verkündete nur wenige Minuten nach dem Plädoyer des Staatsanwalts sein Urteil: „Wir sind nicht milder als Bayern.“ Das bayerische Oberlandesgericht hatte 1994 einen Verwaltungsangestellten wegen Verbreitung des selben Hetz-Gedichts mit knapp 6.000 Mark Strafe belegt.

Daß Becker weniger bezahlen muß, liegt daran, daß er es nicht kann. Becker, Jg. 1949, lebt von Sozialhilfe und ist bei den Amtsgerichten in Bremen und Umzu kein Unbekannter. Sein Strafregister reicht von Betrug über Hausfriedensbruch bis Beförderungserschleichung sprich Schwarzfahren. 1993 gründete er eigenen Angaben zufolge die „National-Sozialistische Partei NSDP“ („Zur Mitgliederzahl möchte ich nichts sagen – auf jeden Fall mehr als sieben!“) und gibt sich seither als deren Bundesvorsitzender aus. Außerdem sei er bei der Partei der Arbeitslosen („PDA“), Gründungsmitglied der Bremer AfB („die AfB ist aus der PDA hervorgegangen!“) sowie Mitglied der „Deutsch-Nationalen Freunde e.V.“, dort jedoch nur noch Bundesgeschäftsführer, wie Becker gestern sagte. Es heißt von ihm, daß er mit seinem Arbeitslosenausweis vorzugsweise in Bahnhofsnähe betteln geht, zu Hause Flugblätter fabriziert, sie beiHorten kopiert, dann verteilt oder auch gerne in Neustädter Briefkästen steckt.

Eine solche Horten-Aktion brachte Becker nun erneut vor Gericht, diesmal explizit wegen Volksverhetzung. Eine Frau beobachtete ihn beim Vervielfältigen des oben erwähnten Gereimten: Von Asylanten, die Kabelfernsehen haben, den Deutschen Aids bringen und Rauschgift mithaben, das sie an Kinder verteilen, ist darin die Rede. Geschrieben habe er das nicht, so Becker, der sich gestern selbst verteidigte. („Hätten wir Ihnen auch nicht zugetraut“, entfuhr es dem Staatsanwalt.“) Trotzdem übernehme er die Verantwortung für das Pamphlet: „Ich werde Asylbetrüger und Drogenhändler weiter angreifen, und ich denke, ich bin mit der Mehrheit des Volkes. Bremens Innensenatoren bis hin zum jetzigen, Herrn Borttscheller, haben mit ähnlichen Worten das Gleiche gesagt. Und ich möchte auch Herrn Streibl zitieren, der auch von Asylbetrügern und Sozialschmarotzern gesprochen hat.“

Für alle Dummheiten der Politiker sei man nun auch nicht verantwortlich, wurde Amtsrichter Hoffmann bei Beckers Eskapaden zwischenzeitlich ungehalten. Hoffmann versuchte, dem Mann einerseits menschlich beizukommen, gab also zunächst nach und entschied bezüglich eines anderen, von Becker verbreiteten Flugblattes auf Freispruch. Die Konterfeis von Bismarck, Friedrich dem Großen, Hitler und Hess zierten das Corpus delicti. Der Richter sagte wörtlich: „Wir wollen da mal nicht so genau hinsehen“ – da ein Hitler- oder Hess-Bild nicht eindeutig als „verfassungswidriges Kennzeichen“ klassifizierbar sei.

Andererseits blieb Amtsrichter Hoffmann bei seiner von Anfang an offenkundigen Absicht, Becker in der „Asylbetrüger“-Sache zu verurteilen. Der Präzedenzfall aus Bayern sei übertragbar: Es handele sich um einen diffamierenden, globalisierenden Angriff, der etwa einer Forderung, Juden aus öffentlichen Ämtern auszuschließen,vergleichbar sei.

Reinhard-Justus Becker schmunzelte dazu nur und verließ dann den Gerichtssaal mit stolzer Miene. Er wolle Widerspruch gegen das Urteil einlegen, kündigte er an. Seine beruflichen Pläne seien außerdem ungebrochen: Er plane eine Umschulung zum Koch, die Gründung eines Selbstverlags, die Gründung eines Sport-Poster-Verlags – Bremer Fördermittel seien bereits beantragt – sowie für 1998 seine Kandidatur als Spitzenkandidat der „NSDP“ für den Bundestag. sip