Tschechische KZ-Opfer gehen leer aus

■ Der deutsch-tschechische Zukunftsfonds schließt individuelle Entschädigungen aus. Die Zeit drängt, denn die Opfer werden immer älter Von Constanze von Bullion und Christian Semler

Von Constanze von Bullion und Christian Semler

Berlin (taz) – Gestern kam das „deutsch-tschechische Erklärung“ benannte Drama der Peinlichkeiten doch noch zu einem guten Ende. Aber die feierliche Unterzeichnung des Dokuments durch Helmut Kohl und Václav Klaus im Liechtenstein-Palais an der Moldau bedeutet nicht, daß alle aus der Vergangenheit überkommenen Probleme des tschechisch-deutschen Verhältnisses wenigstens im Grundsatz bewältigt, alle Zweideutigkeiten beseitigt worden wären. Vor allem, was die Entschädigung für die tschechischen NS-Opfer betrifft. Unter Ziffer 7 des Vertrages hatten beide Seiten vereinbart, einen Zukunftsfonds zu schaffen, der von Deutschland mit 140 Millionen, von Tschechien mit 25 Millionen Mark alimentiert wird. Nach dessen Konstruktionsprinzip sollen Opfer der NS-Okkupation nur im Rahmen von „Projekten“ aus dem Fonds profitieren, also durch den Bau von Seniorenheimen, Sozialstationen etc. Legt man den Vertragstext eng aus, so sind damit individuelle Entschädigungszahlungen ausgeschlossen. Für die überlebenden etwa 8.000 ehemaligen KZ-Insassen bietet der Passus der Erklärung, wonach „die in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen sollen“, einen schwachen Trost.

Anders als beispielsweise im Fall Polens wurde nicht zwischen spezifischen Jugendprojekten (finanziert vom Jugendwerk), zwischen allgemeinen Projekten der Verständigung (Gelder aus dem „Jumbo“-Kredit) und zwischen individueller Entschädigung für erlittenes Nazi-Unrecht (eigene Stiftung) unterschieden. Ein weiteres Problem: seit Ende 1994 unterstützt der tschechische Staat die KZ-Opfer mit 2.500 Kronen für jeden Monat erlittener Lagerhaft. Michaele Vidláková von der Prager Jüdischen Gemeinde findet, daß diese Zahlungen mit Entschädigung nichts zu tun haben. „Das war eine kleine humanitäre Geste unserer Regierung. Die haben einfach gesehen, daß die Leute wegsterben und daß die Deutschen nicht willig sind, ihnen etwas zu geben.“ Zwar stellte das tschechische Parlament klar, daß diese Zahlungen nicht als Ersatz für deutsche Entschädigungszahlungen gedacht seien, wenn aber Gelder aus dem „Zukunftsfonds“ einfach an die Stelle der Gelder aus der tschechischen Staatskasse treten würden, stünden die Überlebenden der KZs kein bißchen besser da.

Noch ist es nicht zu spät, auf die Ausgestaltung des „Zukunftsfonds“, der mittels einer gesonderten Vereinbarung eingerichtet werden soll, Einfluß zu nehmen. Noch kann das Prinzip individueller Entschädigungen durchgesetzt, kann ein Stiftungsrat auch mit Vertretern der Opfer besetzt werden. Ob allerdings Zusicherungen an die sudetendeutsche Seite, auch ihre Forderungen könnten fallweise durch den Zukunftsfonds berücksichtigt werden, richtig waren, bezweifeln zumindest Vertreter der KZ-Opfer, wie Vidláková. Erst müßte die politische Vergangenheit der Antragsteller geklärt werden: „Wenn einer beweisen kann, daß er sich dagegengestellt hat, daß er auch gelitten hat unter dem deutschen Einmarsch, dann soll er was kriegen. Aber wenn er die Heimat, die Tschechoslowakei, damals verraten hat, dann braucht er heute auch nicht nach dem Recht auf Heimat zu schreien.“

Mit ihrer Meinung ist sie nicht allein. „Wenn es wenigstens eine symbolische Wiedergutmachung, eine kleine Zahlung an jeden einzelnen noch lebenden Lagerhäftling geben würde, dann könnte sich die Stimmung hier ganz schnell ändern“, meint Hanuš Schimmerling. Der 75jährige ist Vorsitzender der Internationalen Theresienstadt- Initiative und sitzt im Vorstand des Bundes der Freiheitskämpfer. Hier legt man Wert darauf, „die jüdische Frage nicht abzutrennen von den Ansprüchen der politischen Gefangenen“. Von einer einheitlichen Meinung der Überlebenden kann freilich nicht die Rede sein.

Einig sind sie sich nur in einem Punkt: „Wenn man jetzt anfängt, irgendwelche Altersheime zu bauen, nützen die den Überlebenden überhaupt nichts mehr. Die sterben dahin wie die Fliegen. Wenn sie ins Grab sinken, sollen sie wenigstens das Gefühl haben, daß sich etwas geändert hat in Deutschland. Aber da fehlt einfach der gute Wille.“