Manches fließt im weißen Würfel

Ein Rest „Bonner Transparenz“ neben klotzigen Insignien der Macht: Axel Schultes und Charlotte Frank bauen das neue Bundeskanzleramt im Berliner Spreebogen. Kohl kanzelte zuvor drei Entwürfe der Architekten ab  ■ Von Rolf Lautenschläger

Daß „Bauen für die Demokratie“ selbst nach vierzig Jahren an dem Diktum Adolf Arndts nicht vorbeikommt, sagt viel über die Wirkung des bekannten Aufsatzes auf Staatsarchitekturen der Bundesrepublik aus. Die euphorisierende Bedeutung jener Sätze über „den baulichen Geist, der kollektive Bewußtseinsinhalte auszudrücken“ habe, bildete für Hans Schwippert, Egon Eiermann sowie Günter Behnisch die Grundlage für ihre Bonner Neubauten. Offenheit, Modernität und manchmal auch ein spröder Charme sind die Chiffren ihrer Häuser. Die Regierungsbauten am Rhein gelten seither als Symbole einer Haltung, die mehr auf Bescheidenheit als auf Protzigkeit setzt.

Axel Schultes und Charlotte Frank haben mit ihrem Entwurf für das neue Kanzleramt viel von der „Bonner Zivilität“ an die Spree geholt. Den Begehrlichkeiten, das vereinigte Deutschland in pompösen Pathosformeln der Macht und Stärke darzustellen, widerstanden sie souverän.

Gleichwohl bedeutet der gläsern-weiße Neubau nicht die bloße Transformation der „Bonner Transparenz“. Für Schultes/Frank geht es um mehr: um Plastizität – also Kontur –, um Raumerlebnisse – also Veränderung –, um Ein- und Durchblicke – also Weitsicht und Intimität; durchaus politische Interpretationen.

Den Schwerpunkt des H-förmigen Baus, der gegenüber dem Reichstag entstehen wird, bildet zweifellos der 36 Meter hohe sechsstöckige Kubus in der Mitte des Ensembles. Weiß und scharfkantig, als sei er der Bauhausmoderne entsprungen, rahmt er einen unruhigen, bewegten Kern mit Treppenanlagen und Foyers, Loggien und Emporen, den Kabinettssaal und das Kanzlerbüro. „Alles fließt“, hatte Schultes einmal die Richtung für den Zentralbau vorgegeben. Diese Expressivität der Fassaden und Räume, die manchmal zu verspielt, zu plastisch daherkommt, fangen die beiden parallelen Verwaltungsflügel ein wenig ab. Die langen Riegel für die 310 Büros klemmen den Bau zwar nicht ein, sie „beruhigen“ ihn aber, machen ihn sachlicher.

Die Bedeutung der 400 Millionen Mark teuren Regierungszentrale, die 1999 bezugsfertig sein wird, haben Schultes/Frank mit den Insignien der Macht vorsichtig gesteigert. Das „städtebauliche Wahrzeichen Deutschlands, das Symbol der Wiedervereinigung, die Visitenkarte der Republik“, wie Helmut Kohl das Haus überlädt, war für die Architekten ein nicht geringes Problem, wandelten sie doch wegen des Erwartungsdrucks ihren Entwurf gleich mehrfach. Mal entstand, nach dem Bauwettbewerb 1995, auf dem Reißbrett ein dicker Kasten mit überdimensionierten runden Fenstern – „das Auge des Kanzlers“, wie die Berliner Schnauze fand. Dann folgte ein Gebäude mit baumähnlicher Betonfassade. Auch diese „grüne“ Variante gefiel Kohl nicht.

Daß Schultes/Frank sich mit ihrer endgültigen Planung von dem aufgesetzt Bildhaften verabschiedeten, hat dem Kanzleramt nur gut getan. Die Wirkung geht vom Wechsel mit Licht und Raum aus. Die Offenheit der halbrunden Glasfassaden („die Schwung in die Bude bringen sollen“, sagt Schultes) wird durch schräg eingestellte Wände abgelöst. Ins Innere des Baus gelangt der Besucher durch eine Reihe sich staffelnder Räume, die immer intimer werden. Der weite Eingangsbereich, ein rechteckiger Ehrenhof für die Anfahrt der Staatskutschen, bleibt zum Schluß der einzige Ort, wo Schultes/Frank repräsentative Bausymbole inszenieren. Freistehende Säulen von 18 Meter Höhe (!) – Allegorien der Stärke – sind da plaziert. Ein querliegendes Stahlband macht die Vorfahrt drückend. Wenn da noch ein Wachregiment aufmarschiert, ist die Zivilität perdu. Daß die Architekten dort nicht auf Herrschaftsgesten verzichten wollten oder konnten, liegt vielleicht am autokratischen Entscheidungswillen des Kanzlers oder an seinem Wiener Berater Gustav Peichl. Der hätte gern ein massives Bundeskanzleramt gesehen.

Die Offenheit und Transparenz des Kanzleramtes bleibt dennoch eine scheinbare. Der Amtssitz der Exekutive, die schon in Bonn durch einen Zaun auf Distanz zur Bevölkerung geht, rückt in Berlin nicht weniger weit in die Ferne. Das Versprechen, ein „offenes Haus“ zu bauen, haben die Experten des Bundeskriminalamtes mit überzogenen Sicherheitsansprüchen bereits konterkariert. Das neue Kanzleramt hält die Berliner mit einem Wassergraben und Zäunen ab. Ob der Spreeuferweg, der den Kanzlergarten teilt, für Spaziergänger zugänglich sein wird, vermag ebenfalls niemand zu sagen.

Ein wirklich „offenes Haus“ ist dergestalt kaum denkbar. So bleibt die Transparenz aus Glas, das Wechselspiel geschlossener und geweiteter Räume sowie die Lichtburg als Ganzes nur Kulisse. Der Architekt kann dafür nichts. Das Programm übernimmt von nun an das Protokoll Helmut Kohls.