Clan-Geheimnis

■ Und wieder sind Frauen in Gefahr: "Insel der Furcht" (20.15 Uhr, Pro 7)

Am fernsehtauglichsten erzählt sich der moralische Niedergang der herrschenden Klasse noch immer im Familiendrama. Ungezählte Stunden durften sich die Zukurzgekommenen vor dem TV- Gerät an lustvoll inszenierten Untergangsparabeln erfreuen, an Großbürgersippen, die vor dem voyeuristischen Auge des Publikums ihre Zerrüttetheit zelebrieren. Mit den beliebten Ingredienzen Inzest, Tablettensucht, Hysterie und raffiniert vertuschten Kapitalverbrechen versehen, dienen die Familiendramen vorzugsweise der kleinbürgerlichen Triebabfuhr. Da oben, erfuhr man aus dem Fernsehen, trägt man zwar die besseren Kleider, doch auch schwer an Erfolgsdruck und Erbkrankheit.

Zur Vorführung der großbürgerlichen Havarie wird in der Regel eine Art Agent entsandt, der, mit gesundem Menschenverstand und integrer Moral bewaffnet, grundehrliche Empörung in den Machtmorast trägt, die dunklen Clan-Geheimnisse enthüllt und bald die staatlichen Organe benachrichtigt. In „Insel der Furcht“ lastet diese aufklärerische Mission bleischwer auf den Schultern der herzensblonden Laura Decker.

Die Beerdigung ihrer Nichte treibt die Angeheiratete aufs Eiland der Decker. Ein verwunschener Ort, an dem von der Zeitung bis zum Fährmann alles das Signet der Großfamilie trägt. Dort sabotiert seit kurzem ein Mörder die sportlichen Aktivitäten der Clan- Jüngsten. Da explodiert dem Tontaubenschützen das Gewehr, detoniert dem Angler der Außenbordmotor und zerplatzt der Schädel der Schwimmerin an der Kachelwand. Auch Lauras Mann ist schon dahin. Sein Tod bringt ihr jedoch keine Ruhe vor dem Fluch des Kapitals, keine Gnade vor dem Knebel der Familienbande.

Mit dem ahnungsvollen weiblichen Raunen des Synthesizers als Dauerbegleiter begibt sich Laura auf den Handlungsweg – der sich rasch als Trampelpfad entpuppt. Was immer das Drehbuch für sie bereithält (Enthüllungen in der Reitstunde, Ehebruch in der Duschkabine) absolviert sie mit gleichmäßiger Atemlosigkeit. Ob sie sich fürchtet („O mein Gott“), zynisch sein will („Mein Mann nannte die Insel Alcatraz“), oder ob ihre Rechtschaffenheit erschaudert („Das ist doch illegal“) – die hilflose Aufregung drückt alle ihre Worte flach wie Bierdeckel.

Und Drehbuch und Kamera meinen es nicht gut mit ihr. Sadistisch labt sich die Kamera an ihren weiträumigen Armbewegungen beim Rennen, dem immergleichen Kuhblick, läßt sie klettern und vor allem der Nase nach immer wieder in die Matsche fallen. Erst trifft die Arme Mitleid, dann die schnöde Bosheit des Zuschauers, der ihr vom Fernsehsessel aus am liebsten noch Erdnüsse in den Fluchtweg schmeißen würde, wohlwissend, daß dies wie eine Steinigung wirkt, die die Zarte böse umhaut. Aber wem das Drehbuch Dämlichkeit statt Dramatik zuschreibt, wer zu blöd ist, Bötchen zu fahren oder auch nur zu schimpfen, der taugt nicht als Agentin oder Saboteurin. Und wenn Laura am Ende über Umwege die Polizei einschaltet, sieht sie nicht wie eine gerechte Rebellin aus, sondern nur wie eine dumme Petze. Birgit Glombitza