Blick zurück (nicht im Zorn)

■ „Juloratoriet“ von Kjell-Ake Andersson im Panorama Special

Der Film fängt lustig an. „Musik: Stefan Soundso“ liest der Kinofreund, aber es erklingt Bach. Das Weihnachtsoratorium, und zwar mitten im Sommer. Man schreibt die 20er Jahre. Solveig ist voller fröhlichen Überschwangs, ein verzücktes blondes Sonnenkind, das eine „Kathedrale aus Gesang“ errichten will. Sie überredet ihre kleine dörfliche Kirchengemeinde, das eigentlich viel zu komplizierte Weihnachtsoratorium einzustudieren. Das Weihnachtsoratorium, na klar, ist Metapher für den Lebenstraum, der vielleicht nie wahr wird, dessen Wahrwerden man sich jedoch zutrauen muß, um nicht zu verdorren.

Solveig stirbt auf dem Weg zur Chorprobe, von einer Rinderherde zu Tode getreten. Aaron und die Kinder, Sinder und Eva- Lise, bleiben gramgebeugt zurück. „We'll never do the Christmas- Oratorio“, trauert eine Bäuerin.

Erzählt wird in der Rückblende. Nach dem (Frei-?)Tod seiner Mutter findet der Musiker Victor ein Päckchen alter Briefe seines Vaters Sinder, die die Mutter ihm vorenthalten hat. Die Briefe enthalten, was Sinders — und vielleicht auch Victors — Leben formte. Solveig war Victors Großmutter, Aaron sein Großvater. Anderssons Film erzählt eine sich über drei Generationen erstreckende schwedische Familiengeschichte.

„Juloratoriet“ ist zu Beginn ein sehr schöner und — natürlich — sentimentaler Film, in dem die Lieblichkeit der schwedischen Landschaft mit protestantisch strengen Regeln kontrastiert. Kargheit und Anständigkeit (Victors Vater) machen Verlust und Schmerz um so unerträglicher. Regisseur Anderssons Rezept ist von der unfehlbaren Sorte: ein Blick zurück, jedoch nicht im Zorn, auf die Tragödien einer Familie, eine Kleinstadt voller kauziger Bewohner und das Wichtigste – die Liebe, die mehr geliebt wird als das Leben.

Johan Widerberg (Sinder) ist ein guter Schauspieler und alter Berlinale-Hase. Nur schade, daß Kjell-Ake Andersson sich, als der Film in Fahrt längst einen passenden Rhythmus gefunden hat, immer mehr in wehende Gardinen und weiße Lochstickereien verwickelt. Das soll noch mehr zarte Poesie sein, die der Film doch gar nicht mehr nötig gehabt hätte. Anke Westphal

„Juloratoriet“. Schweden 1996. 125 Min. Regie: Kjell-Ake Andersson. Mit: Johan Widerberg, Peter Haber, Lena Endre.

Heute: 17 Uhr International