Alleintäter-Legende

■ betr.: „Mein Führer, es ist ein Wunder!“ von Lutz Hachmeister, taz vom 27.12.96

Es ist verdienstvoll, daß die taz den obengenannten Beitrag über die braunen Mitarbeiter des frühen Spiegel abgedruckt hat.

Wir sind bei völlig anderen Recherchen zu Ergebnissen gelangt, die die Darstellung von Lutz Hachmeister ergänzen und (leider) bis in die Gegenwart fortführen:

1959/60 veröffentlichte der Spiegel die elfteilige Serie „Stehen Sie auf, van der Lubbe. Der Reichstagsbrand 1933 – Geschichte einer Legende / Nach einem Manuskript von Fritz Tobias.“ Das Manuskript der Serie wurder seinerzeit überarbeitet von Spiegel-Mitarbeiter Paul Karl Schmidt alias Dr. Paul Carell (1933 NSDAP und SA, später SS- Obersturmbannführer, Pressechef Ribbentrops) sowie Günther Zacharias (SA und NSDAP).

Die Serie begründete die Legende, der geistig verwirrte Holländer Marinus van der Lubbe hätte mit ein paar Kohlenanzündern den Reichstag allein in Brand gesteckt. Die naheliegende Annahme, die Nazis hätten den Brand selbst inszeniert, wurde darin als kommunistische Propaganda abgetan.

Diese Legende, die sich dank Spiegel bis heute hält, geht auf den ersten Gestapo-Chef, SS-Oberführer Rudolf Diels (1900-1957 „Jagdunfall“, NSDAP, 3955308, SS 187116) zurück. Augstein räumte Diels in seinem Magazin bereits 1949 Raum für eine achtteilige, völlig unkommentierte Serie „Die Nacht der langen Messer... fand nicht statt“ ein, die vor zynischen Geschichtsfälschungen nur so strotzt. In einem einführenden Beitrag am 12.5.49 wurde Diels hauptsächlich als Bauer, Falkner und „beinahe Mediziner“ vorgestellt. Der Leser mußte schließlich zu dem Schluß gelangen, daß der erste Chef der Gestapo und Günstling Görings eigentlich ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis gewesen sei. Zeitgenössische Berichte (zum Beispiel von Walther Korrodi und Martha Dodd, der Tochter des damaligen US-Botschafters) charakterisieren Diels jedoch als skrupellosen Naziverbrecher. Immerhin leitete Diels die Massenverhaftungen während des Reichstagsbrands und richtete die ersten Konzentrationslager ein.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde Diels nach seiner Entnazifizierung in Hannover zum Beamten des niedersächsischen Verfassungsschutzes. „Amateur-Historiker“ Fritz Tobias (* 1912), der offizielle Verfasser der Reichstagsbrandstiftung- Alleintäter-Legende, arbeitete nach dem Krieg bei der Entnazifizierungsbehörde in Hannover und wurde später Ministerialrat, ebenfalls beim niedersächsischen Verfassungsschutz. Tobias berief sich bei seiner Darstellung – wen wundert's – auf seinen Mentor Rudolf Diels.

Als Reaktion auf die Spiegel-Serie erschien im März 1960 in der Zeit die Serie „Reichstagsbrand im Zerrspiegel“ von Dr. jur. Hans Bernd Gisevius (1904–1974). Tobias hätte „keinen einzigen Tatbestand zutage gefördert, der nicht längst bekannt und 1933 vor dem Reichsgericht sorgfältig erörtert worden wäre. Neues Material wurde im Spiegel entweder unterdrückt oder umgebogen“ (4.3.60). Weiter widersprach Gisevius, 1933 selbst kurz Mitarbeiter von Diels, der Darstellung von Tobias in allen entscheidenden Punkten und lieferte konkrete Fakten dafür, daß der Reichstag von den Nazis selbst in Brand gesteckt wurde.

Augstein war verärgert: „Wie konnte Gisevius es wagen, die von uns schon in der Serie gründlich abgetakelte Legende von dem ,SA-Schläger und den 10 Mann‘ noch einmal durch die Gewässer der Zeit auf die Reise zu schicken?“ (Spiegel, 18/1960) Gisevius wäre ein „gebrannter, dem Feuer zudrängender Romancier“. Besonders verwerflich fand Augstein, daß Gisevius seit 1943 für den amerikanischen Geheimdienst OSS und Allan Dulles arbeitete (als Verbindungsmann zum deutschen Widerstand in der deutschen Abwehr). Augsteins Empfehlungen laufen schließlich darauf hinaus, Gisevius finanziell zu ruinieren und ihn mundtot zu machen. Und so geschah es auch.

In der damaligen Diskussion ergab sich erstaunlicherweise auch, daß Rudolf Augstein offenbar ein freundschaftliches Verhältnis mit Ex-Gestapo-Chef Rudolf Diels verband. Augstein berichtete gar Details im Zusammenhang mit der Reichstagsbrandstiftung, die den Historikern bis dato gar nicht bekannt waren, und die er wohl von Diels hatte.

Erstaunlicherweise wechselte Die Zeit später die Fronten: Seit 1963 hatte sie ein neues Redaktionsmitglied, Dr. phil. Karl-Heinz Janßen (* 1930), gläubiger Tobias- Anhänger. Im September/Oktober 1979 erschein in der Zeit eine vierteilige Serie von Janßen: „Kabalen um den Reichstagsbrand“. Nun wird plötzlich Der Spiegel gelobt wegen der Tobias-Serie 1959/60, eine Quasi-Entschuldigung.

Und seit jener Zeit muß in Deutschland geglaubt werden, daß van der Lubbe den Reichstag allein angesteckt hätte. Die Massenmedien machen's möglich.

Niemand wird überrascht sein, daß in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Akten zum Reichstagsbrand aus deutschen Archiven spurlos verschwanden, noch 1995 aus den Beständen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin sowie 1996 aus dem Archiv der Berliner Senatsverwaltung für Justiz.

Ein von uns verfaßter Beitrag, „Der Reichstagsbrand – ,ein Zeichen Gottes‘“, erschien am 19./20.8.1995 in der Schweizer Neuen Zürcher Zeitung, nachdem wir kein deutsches Blatt für die Publikation gewinnen konnten. Die Verweise auf den Spiegel und den deutschen Verfassungsschutz fielen freilich auch dort dem Rotstift zum Opfer.

Der ungekürzte Beitrag erschien danach immerhin in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Jg.23, Nr.9), wenn auch mit einer diffamierenden Einleitung der Redaktion. Dr. Wilfried Kugel, Berlin,

Dr. Alexander Bahar (Stuttgart)