■ "Zwei Gesichter der Eremitage" heißt eine gestern in Bonn eröffnete Ausstellung. Ein drittes Gesicht ist nicht zu sehen: Die nach 1945 erbeuteten Kunstwerke blieben in Rußland
: Beutekunst bleibt in der Einsiedelei

„Zwei Gesichter der Eremitage“ heißt eine gestern in Bonn eröffnete Ausstellung. Ein drittes Gesicht ist nicht zu sehen: Die nach 1945 erbeuteten Kunstwerke blieben in Rußland

Beutekunst bleibt in der Einsiedelei

Fast sah es so aus, als wollte der russische Föderationsrat einem der renommiertesten Museumsleiter des Landes die Deutschlandreise nicht verderben. Erst am 4.März, so beschloß die zweite Kammer des Parlaments Anfang Februar, soll vermutlich endgültig über das Schicksal der sogenannten Beutekunst entschieden werden, jene bis vor wenigen Jahren noch streng geheimen Sonderdepots mit Kunstwerken aus deutschen Privatsammlungen, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs entgegen den geltenden Völkerrechtsbestimmungen in verschiedenen Museen der ehemaligen UdSSR aufbewahrt werden. Die Duma hatte bereits ein Gesetz beschlossen, mit dem die einst deutschen Kulturgüter zum Eigentum Rußlands erklärt werden und die Rückgabe ausgeschlossen wird. Sollte dem der Föderationsrat folgen, könnte nur noch Präsident Jelzin das Inkrafttreten verhindern.

So fällt zwar ein leichter, noch aber kein schwarzer Schatten auf den Besuch des Direktors der St. Petersburger Eremitage, Michail Piotrowski. Gestern hat er in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die Ausstellung „Zwei Gesichter der Eremitage“ eröffnet. Neben dem „Gold der Skythen“, rund 150 herausragenden Beispielen für die Handwerkskunst der skythischen Reiternomaden aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet und dem südsibirischen Altai- Gebirge, kommen 65 Gemälde und 50 Zeichnungen an den Rhein. Die devisenträchtige Reiseerlaubnis erhielt nur, was kulturpolitisch unumstritten ist: Meisterwerke des europäischen Barocks aus Italien, Spanien und Frankreich. Caravaggios um 1595 entstandener „Lautenspieler“ wird ebenso an den Rhein reisen wie Poussins „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ und weitere 65 Gemälde und Zeichnungen, unter anderem von Carracci und Guernico, Reni und Velázquez, Murillo, Ribera und Lorrain.

Das dritte Gesicht der Eremitage bleibt deshalb auch weiterhin hinter einem Schleier aus Geheimnistuerei, Nationalismus und außenpolitischer Unsicherheit verborgen: Die bereits in mehreren Ausstellungen in Moskau und Sankt Petersburg gezeigten Beutekunst-Bestände dürfen Rußland nicht verlassen. Man fürchtet eine ähnliche juristische Auseinandersetzung wie 1993, als die wichtigsten Werke der ehemaligen Sammlungen Morosow und Schtschukin in Essen zu sehen waren. Eine in Paris lebende Nachfahrin von Schtschukin klagte damals auf Beschlagnahme mehrerer der längst in staatlichen Besitz übergegangenen Werke, unterlag mit dieser Forderung aber.

Ganz freiwillig allerdings leiht Piotrowski auch die alten Meister nicht aus: Sein Museum benötigt dringend schnell viel Geld. Schon seit mehreren Monaten ist Piotrosski deshalb auf Betteltourneen in Westeuropa und den USA unterwegs. In Wuppertal bat er für sein Haus vor dem örtlichen Lions Club um Spenden, in New York sprach er mit Industriellen über mögliche Unterstützung. In der Eremitage sind umfangreiche Renovierungsmaßnahmen nötig: Hier und da tropft Wasser durch die Decke, viele Fenster schließen nicht richtig. Funktionierende Klima- und Alarmanlagen sind fromme Wünsche, zumal wegen nicht bezahlter Rechnungen der Strom regelmäßig abgestellt wird. Gehalt haben viele der Angestellten seit mehreren Monaten nicht mehr erhalten. Deshalb fiel in Sankt Petersburg schon vor längerem der Entschluß, nach westlichem Vorbild die Kunst zu Geld zu machen. Für eine nicht bestätigte siebenstellige Dollarsumme erhielt Microsoft-Chef Bill Gates gerade erst die Reproduktionsrechte an den Gemälden der Eremitage; ein Vertrag mit dem New Yorker Kunstbuchverlag Abrams sieht für die kommenden Jahre eine Reihe von Veröffentlichungen vor. Über die Höhe des Betrages, den die im internationalen Ausstellungsgeschäft längst übliche Leihgebühr für die Bonner Doppelausstellung in die Kasse der Eremitage spielt, schweigen beide Seiten in für Beutekunst-Fragen seltener diplomatischer Einigkeit. Stefan Koldehoff