Flugzeugabsturz durch „Scheinangriff“ der Nato?

■ Aussage eines norwegischen Offiziers könnte den Tod von 15 Menschen klären

Oslo (taz) – Bei bestem Flugwetter verschwindet am 11. März 1982 plötzlich ein Passagierflugzeug von den Radarschirmen kurz vor Erreichen des Zielflugplatzes Mehamn in Nord-Norwegen. Die Linienmaschine der innernorwegischen Fluggesellschaft „Wideroe“ stürzt wenig später vor der norwegischen Küste ins Nordmeer. 15 Menschen kommen ums Leben. Als Ursache für den nie aufgeklärten Absturz wird nun ein „Scheinangriff“ übender Nato-Militärmaschinen vermutet. Anlaß für die neu entfachte Diskussion um die Ursache des Unglücks vor 15 Jahren ist die Aussage eines norwegischen Offiziers zu Übungspraktiken der Nato im Norden seines Landes bis in die achtziger Jahre hinein.

Kjell Lutnes, Kommandeur der Luftstreitkräfte in Nord-Norwegen gestand am Samstag ein, es sei bis in die achtziger Jahre „nicht unüblich gewesen“, daß Jagdflugzeuge der Nato-Länder bei Flugübungen „Scheinangriffe“ auf Passagiermaschinen verübt hätten: „Solche Scheinangriffe sollten eigentlich nur stattfinden, wenn sich Militärpilot und Pilot des Passagierflugzeuges vorher darüber verständigt hatten. Wir können aber nicht ausschließen, daß so etwas auch ohne Vorkontakt mit einem Verkehrsflugzeugpiloten erfolgte.“ Es sei bekannt, daß sich gerade Piloten anderer Nato-Staaten im norwegischen Luftraum „Freiheiten“ herausgenommen hätten, die über ihrem eigenen, dichtbesiedelten Territorium nicht möglich wären.

Lutnes Äußerung zielt eindeutig auf englische und US-amerikanische Nato-Flugzeuge ab, die wiederholt gegen Flugbegrenzungen verstoßen hatten und beispielsweise in den eigentlich gesperrten Luftraum östlich des Nordkaps eingeflogen sind, um „Russen zu provozieren“. Auch wenn es laut Lutnes „keinen Beweis“ dafür gibt, daß damals ein Scheinangriff auf das Passagierflugzeug stattgefunden hat, ist das Eingeständnis des Oberbefehlshabers nach Einschätzung der meisten norwegischen Medien das letzte fehlende Puzzlestück im „Mehamn-Mysterium“. Demnach sei der Pilot der Zivilmaschine vollkommen erschrocken über den unangekündigten „Scheinangriff“ gewesen und hätte so den Absturz verursacht.

Ein einzelner Augenzeuge an Land, dem aber kein Glaube geschenkt worden war, hatte damals von zwei Militärmaschinen berichtet, die das Passagierflugzeug „angegriffen“ hätten. Radarbeobachtungen der nahegelegenen Station von Honnigsvåg hatten ein „unbekanntes“ Flugzeug registriert. Und am Unglückstag übten im fraglichen Luftraum englische Sea-Harrier-Flugzeuge, die von dem nahegelegenen Flugzeugträger „HMS Invincible“ aus gestartet waren. All diese Anhaltspunkte konnten zwei unterschiedliche Untersuchungskommissionen jedoch nicht davon abhalten, das Unglück als „nicht aufklärbar“ einzuordnen.

VertreterInnen aller norwegischen Parlamentsparteien haben sich mittlerweile für die Einsetzung einer neuen Untersuchungskommission eingesetzt. Norwegische Medien stellten am Sonntag die Frage, welche anderen „unaufgeklärten“ Flugzeugunglücke im Luftraum von Nato-Ländern ebenfalls auf die bislang unbekannten Scheinangriffe zurückgeführt werden könnten. Offenbar hätten derartige „Übungen“ zum Alltag der Nato gehört. Reinhard Wolff