■ Altersheim für Kühe
: Finale Ruh' für die Kuh

Claartje mit der Ohrnummer 4.392 steht in der Ecke des Stalles und guckt, als wisse sie nicht so recht, was von dem Besuch zu halten sei. Bert Hollander, 25, streichelt die große belgische Fleischkuh und erklärt: „Claartje ist unlängst dem Schlachter entsprungen. Sie rannte den Metzger im Schlachthaus Koudum über den Haufen, flitzte durch das ganze Dorf und wurde erst eingefangen, als sie in das Fenster eines Hauses gesprungen und darin steckengeblieben war.“ Zwei Betäubungsschüsse waren nötig – und die Besitzer beeindruckt. „Sie brachten sie zu uns, und hier darf sie nun ein ruhiges Leben führen.“ Denn Bert Hollander und ein paar Freunde haben vor einem Jahr das erste Altersheim für Kühe gegründet. Bei ihnen im friesischen Zandhuizen dürfen die Kühe in Zeiten, in denen schon mal 10.000 Kühe der BSE-Vorsorge geopfert werden, eines natürlichen Todes sterben.

Denn Hollander hat eine besondere Beziehung zu den Tieren: „Meine Eltern waren Milchbauern, ich bin mit der Liebe zu den Kühen aufgewachsen.“ Mit 14 habe er begonnen, darüber nachzudenken, was mit den Kühen passierte, die der Frachtwagen abtransportierte – und wurde Vegetarier. „Ich bin Idealist. Solange Menschen nicht damit aufhören, Tiere zu schlachten, hören sie auch nicht damit auf, Menschen zu töten.“ Auch Kühe hätten nämlich eine eigene Identität, einen eigenen Charakter und ein klopfendes Herz. Deshalb tue es ihm in der Seele leid, wenn mit den Rindern so herzlos umgegangen werde.

Bert Hollander und sein Kuhaltersheim sind mittlerweile im ganzen Land bekannt. Manchmal bringen Bauern aus der Nachbarschaft Heu oder auch Geld vorbei, manchmal läßt auch jemand seine Kuh da. „Normalerweise leben die Milchkühe ja nur drei, vier Jahre, dann müssen sie ins Schlachthaus. Bei uns aber können sie sorglos alt werden“, auch wenn die ständige Abgabe von Milch in großen Mengen den Kühen an Herz und Nieren geht. „Wußten Sie, daß für einen Liter Milch 600 Liter Blut durch das Euter gepumpt werden müssen?“ fragt Hollander und zeigt auf eine 17jährige Kuh, die in ihrem Leben 120.000 Liter gegeben hat – manchmal 55 Liter am Tag. „Kühe sind soziale Tiere“, sagt Hollander und streichelt der pensionierten Kuh Sofie über den Rücken, „und doch sind sie eigensinnig wie Katzen.“ Er hat richtige Knuffelrinder im Stall. Die 14jährige Kuh Linda beispielsweise reckt sich wohlig, als Hollander sie tätschelt. Doch nicht nur Kühe, auch eine 17jährige Ziege, ein paar Hühner, ein halbes Dutzend Katzen haben ihren finalen Ruheplatz in seiner Pension gefunden.

Die Kühe haben meist noch einige Jahre Ruhestand vor sich. „Sie können 20 bis 30 Jahre alt werden. Sie müssen bei uns nichts weiter als genießen.“ Die Stiftung „Leemweg“ hat neben dem Stall noch 1,5 Hektar Land, auf dem die Tiere grasen können. Inzwischen kamen zu den älteren Tieren zwei Kälber hinzu, so daß auch ein bißchen gespielt wird im Rinderaltersheim. Ein Stier und ein Ochse schauen mit ihren wunderschönen dunklen Augen neugierig auf die Besucher, kommen ans Gatter und stecken ihnen ihre langen, warmen, rauhen Zungen entgegen. „Erst wenn sie gestorben sind, haben wir ein Problem. Begraben lassen dürfen wir sie nämlich nicht“, erklärt Hollander. „Wir kennen da aber ein Raubtiergehege in der Nähe“, sagt er und fährt wie selbstverständlich fort: „Die haben sozusagen das umgekehrte Problem. Bei ihnen können pensionierte Raubtiere aus Zoo oder Zirkus unterkommen, Löwen oder Tiger lassen sich aber nicht zum Vegetarier machen.“ Falk Madeja