„Man müßte den Frauen an die Schränke gehen“

■ Die Boutique Evelyn ist 30. Bussi! Hallöchen! Die Chefin ist Waldorfschülerin und kennt Gott, die Welt und die Rolling Stones

an muß sie nicht mögen. Aber man sollte sich freuen, daß es sie noch gibt. Fischli. Und Evelyn.

Fischli: Das ist kleines, goldgelbes Salzgebäck in Fischform, welches in den 60er Jahren gern in sogenannten Etageren gereicht wurde. Evelyn: Das ist eine kleine Boutique in der Balgebrückstraße, in der Frauen ein- und ausgehen, die mit Bussi und Hallöchen und lustigem Lachen begrüßt werden, damit sie 800 Mark für einen extrem transparenten Floralfummel von Dries van Noten ausgeben. Gestern feierte die Boutique Evelyn ihren 30. Geburtstag – mit Fischli, Käseigeln, Lambrusco und Jazz. Und mit treuen Kundinnen, die auf dem Dachboden gewühlt hatten und in Original-60er-Designerklamotten von „Evelyn“ erschienen. Erwähnt sei hier nur ein Paar hochhackiger Schuhe, knallrot, mit weißen Pünktchen. Süß!

Bremen 1967: Das war modemäßig Nachkriegszeit. Hier und so war Evelyn Frisinger aufgewachsen, wohlbehütet, Bremerin bis ins dritte Glied, sogar Waldorfschülerin. Die Großeltern hatten ein Geschäft für Herrenoberbekleidung gehabt, Vater war Musiker, James Last war „Onkel Hansi“. Mit 19 Jahren und einem braven blauen Kostüm ging Evelyn als Au-Pair nach London. London! Das hieß damals: Eric Clapton treffen, The Who kennenlernen und den Bruder von Paul McCartney, mit den Stones quatschen, und natürlich sich neu einkleiden im Mode-Kulttempel „Biba“. Als Evelyn nach Bremen zurücckam, trug sie einen quietschgelben Minirock, der gerade mal die Oberschenkelhalsknochen umspielte. Ihre Freundinnen flippten schier aus und fragten: „Wo hast du die Klamotten her?“ Das war die Geburtsstunde der Boutique Evelyn.

Evelyn Frisinger fand einen Laden in der Museumstraße (am Schüsselkorb). Sie hängte riesige knallrote Lippen vors Schaufenster, kaufte sich die angesagten Stoffe und zeichnete Schnitte, so etwas Ähnliches hatte sie bei Waldorfs ja gelernt. 14 Schneiderinnen arbeiteten in Spitzenzeiten für Evelyn. Samstags schenkte sie Lambrusco aus. Der Laden, ohne Konkurrenz in Bremen, brummte. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden ihre Klamotten, als sie für Mike Leckebuschs „Beatclub“ schneiderte. Vielleicht wäre aus Evelyn eine zweite Jil Sander geworden (die saß mit einem ähnlichen Laden zur gleichen Zeit in Hamburg) – doch irgendwann beschloß Evelyn, klein zu bleiben und Kinder zu haben. Und verlegte sich darauf, statt den Stardesignern nachzueifern das Original zu verkaufen.

Evelyn versorgte von da an die Bremer Modebewußten mit dem Nötigsten für den Gipsy- und Hippylook der 70er, präsentierte Anfang der 80er die extravaganten Modedesigner Claude Montana, Thierry Mugler und Issey Miyake und hatte früh die Amis Donna Karan und Calvin Klein im Fenster. Heute residiert Evelyn in der Balgebrückstraße und verkauft im oberen Teil „Hochpreisiges“ (Hemden und Pullover jenseits 400 Mark, Schuhe für 800 Mark); im Keller, vom Schnoor aus zugänglich, finden Neueinsteiger und Jüngere auch mal Jeans unter 200 Mark. Sowie das Kultlabel „DKNY“, die „Billig“-Linie von Donna Karan.

Am Jubeltag kommen Blumen über Blumen in den Laden, die reifere Kundschaft gratuliert, Evelyn zeigt Fotos und alte Schätzchen. Im Hintergrund streichen Damen in endlosen schwarzen Röcken über ihre Problemzonen, und die Fachverkäuferinnen zupfen an ihnen herum, als ginge es hier genau darum: um Streichen und Zupfen.

Sieht man einmal vom Geld ab, hat es die Kundin (die seit einem Jahr auch männlich sein darf) gut bei Evelyn. „Ich nehme das Teil aus dem Regal, was die brauchen,“ sagt Frau Frisinger – so soll es sein. Wenn es nach ihr ginge, würde der Kundendienst noch erheblich ausgeweitet. Man muß sich ja gar nicht immer von oben bis unten neu einkleiden; man kann auch kombinieren. Alt und Neu. Ein stinknormaler schwarzer Hosenanzug aus dem Schrank, und dazu aus dem Schaufenster die blauen Hackenschuhe von Isaak Mizrahi, „ein echter Raushauer“. „Man müßte,“ sagt Evelyn, „an die Schränke der Frauen gehen.“ Das wäre Beratung!

Schrieb ich oben aus rhetorischen Gründen: Man muß sie nicht mögen? Man muß sie mögen! Fischli und Evelyn.

Burkhard Straßmann