Sicherheiten statt Ideen

Risikoscheue Banken und Wissenschaftler sowie der enge deutsche Kapitalmarkt machen der Biotechnologie das Leben schwer  ■ Aus Braunschweig Markus Franz

Braunschweig (taz) – Wenn Prof. Dr. Hans Reichenbach von der Gesellschaft für biotechnologische Forschung Braunschweig (GBF) ein Politiker wäre, hätte er jetzt Schaum vor dem Mund. Aber Hans Reichenbach ist Wissenschaftler, ein Weltbürger offenbar, und so merkt er nur leichthin an, quasi der Vollständigkeit halber, daß die von einem Kollegen und ihm in Deutschland entdeckte tumorhemmende Substanz namens Epothilon in Amerika entwickelt und vermarktet werden wird. In Deutschland habe sich für das milliardenträchtige und mithin arbeitsplatzsichernde Geschäft lange Zeit niemand gefunden.

Biotechnologie gilt als eine der wirtschaftlich bedeutsamsten Technologien der Zukunft. Der Wert biotechnologischer, also mit lebenden Organismen erzeugter, Produkte im Medizin-, Pharma-, Lebensmittel- und Umweltbereich beträgt zur Zeit in Europa 45 Milliarden Mark und wird sich voraussichtlich bis zur Jahrtausendwende mehr als verdoppeln. Doch Deutschland macht es seinen potentiellen Unternehmensgründern schwer. Übervorsichtige Banken zieren sich mit Krediten. Gesetzliche Bestimmungen verhindern den Gang an die Börse und den Zugang zum Risikokapital.

Das Risiko ist in der Tat nicht unbeträchtlich. Bis zur Serienreife eines Medikaments vergehen in der Regel zwischen drei und sieben Jahre. Die Entwicklungskosten betragen mehrere hundert Millionen Mark. Und bis zuletzt kann das Projekt schiefgehen.

Auch Reichenbachs von Bund und Land finanzierte GBF bewies wenig Risikobereitschaft. Weil ihr die Aussichten des Epothilons als Krebsheilmittel nicht groß genug schien, verzichtete sie auf die Anmeldung eines internationalen Patents. „Das hätte uns 50.000 Mark gekostet, sagt Reichenbach, „nun entgehen uns Millionen.“

Noch mal Glück gehabt hat die Nupron GmbH aus Nörten-Hardenberg bei Göttingen, die gerade dabei ist, das nach eigenen Angaben modernste Proteinwerk der Welt zu errichten. Ohne beträchtliches Eigenkapital und glückliche Umstände wäre Firmengründer Waldemar Neumüller am Standort Deutschland gescheitert.

Dabei hat er nicht weniger als ein Verfahren auf Lager, das eiweißhaltige Lebensmittel auch für Allergiker genießbar macht und, wie er sagt, dazu beitragen kann, den Eiweißbedarf der Weltbevölkerung sicherzustellen.

Gegenwärtig werden weltweit fast zwei Milliarden Tonnen Getreide und andere pflanzliche Produkte angebaut. Weniger als zehn Prozent dieser Ernten gehen in die Ernährung, der überwiegende Teil wird industriell verwertet. Die eiweißhaltigen Abfallprodukte aus der industriellen Produktion wandern zum großen Teil in den Abfall. Neumüller hat ein Verfahren entwickelt, um die Eiweißquellen als geschmacksneutrale, wasserlösliche, nichtallergene Substanz wiederaufzubereiten.

In seiner Garage fing der Vater von vier Kindern, die alle an einer Allergie gegen Milcheiweiß leiden, mit seinen Experimenten an. Sein Ziel: eiweißhaltige Plätzchen herzustellen, nach deren Genuß seine Kinder nicht wie sonst in der Klinik behandelt werden müssen. Die Forschung ging gut voran, nur die Suche nach finanzieller Unterstützung ließ Neumüller fast verzweifeln. „Stellen Sie sich vor“, sagt der Firmenchef empört, „da fragen mich die Banken doch glatt, wieviel habt ihr schon verkauft und wie groß ist der Markt.“

Sein Export-Verantwortlicher, Jan Kamps, vermutet: „In den Aufsichtsräten der Banken sitzen die Vertreter der Großfirmen. Und die haben kein Interesse am Mittelstand, sondern wollen nur die Technologie aufschnappen.“ „Fast wäre ich nach Amerika ausgewandert“, sagt Neumüller. Schließlich hätten aber lokale Banken und nicht zuletzt sein Eigenkapital von 70 Prozent zum Erfolg geführt.

Für bessere Bedingungen im Risikokapitalbereich setzt sich die niedersächsische Landesregierung im Bundesrat ein. „Was Venture- Kapital angeht, sind wir Entwicklungsland“, sagt der Hannoveraner Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke (SPD). In Amerika seien allein 1994, nicht zuletzt wegen des riesigen Aufkommens von Risikokapital, 700 Unternehmen an die Börse gegangen. „In Deutschland brauchen wir dafür zehn Jahre.“ Banken, so Tacke, verweigerten häufig die Finanzierung von jungen Technologieunternehmen, weil sie Sicherheiten wie etwa Grundstücke verlangten und ihnen das Know-how zur Bewertung innovativer Produkte fehle.

Privates Kapital könne daher im wesentlichen nur über Kapitalbeteiligungsgesellschaften eingeworben werden. Die aber müßten Veräußerungsgewinne zu hoch versteuern und zu lange warten, bevor die Beteiligung wieder aus dem Unternehmen herausgezogen werden kann. Das soll sich nach Niedersachsens Initiative jetzt ändern.

Die Kritik an den Banken will zumindest die Deutsche Bank (DB) nicht auf sich sitzen lassen. Andreas Bücher von der Deutschen Gesellschaft für Innovationsbeteiligung (DGIB), einer DB- Tochter, gibt den schwarzen Peter weiter: „Die jungen Hochschulabgänger sind häufig von ihrer wissenschaftlichen Idee begeistert, haben aber zuwenig Interesse an Profit.“ Die DGIB hat harte Kriterien bei der Vergabe von Krediten: „Wir investieren nur, wenn die Gewinnschwelle nach etwa drei Jahren erreicht ist, der Geschäftspartner Erfahrungen in Management, Vertrieb und Betriebswirtschaft mitbringt.“

Da wird der Unterschied zu Risikokapitalgesellschaften wie etwa der Atlas-Venture in München deutlich. „Wir brauchen keine Sicherheiten“, sagt Atlas-Geschäftsführer Rolf Schneider-Günther, „sondern wir investieren in das Marktpotential des neuen Produkts.“ Firmengründer müssen auch nicht alle Erfahrungen schon mitbringen. Das international operierende Unternehmen hilft sowohl mit Beteiligungen als auch mit Know-how. „Wir gründen das Unternehmen mit“, sagt Schneider-Günther. „Das ist ein völlig unbankerischer Ansatz.“ Doch Atlas-Venture zieht bislang Geschäfte im Ausland vor. Nur die vielversprechendsten Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland erhalten eine Chance. Die anderen schauen in die Röhre.