Garantiert saubere Tropen

Im ersten Centerparc in Deutschland zählt nicht die Überzeugungskraft des einzelnen Details. Wichtig ist, daß der Eintopf nach Urlaub schmeckt – ganz ohne Durchfall, Sprachverwirrung oder Mückenstiche. Ein Selbstversuch  ■ von Jörg Häntzschel

Es gibt weder Autos, Lärm noch Kriminelle. Glückliche Kinder und attraktiv gebräunte Eltern lächeln sich in der Abendsonne zu. In ihrem Bungalow am See hat die Familie Freiheit und Geborgenheit gefunden... Ob Hochsommer oder Weihnachten, der erste deutsche Centerparc in der Lüneburger Heide, der 13. in Europa, ist ununterbrochen ausgebucht.

Wer zwei oder drei große Reisen im Jahr unternimmt, so die Centerparc-„Philosophie“, will bei seinem Dritt- oder Vierturlaub auf die Naturausstattung, die er vom Mittelmeer oder der Karibik kennt, nicht verzichten. Deshalb gibt es hier „subtropisches Flair, hohe Palmen, exotische Blüten und Wasserfälle“ (Katalog). Und in der knappen Zeit eines Wochenendes muß dieselbe idyllische Erfahrung zu haben sein, für die sonst drei Wochen Zeit und südliches Klima zur Verfügung stehen. „Von den Terrassen erklingt Musik, an den Tischen sitzen fröhliche Menschen in Urlaubsstimmung.“

Der Centerparc ist auf synthetische Weise entstanden. Sämtliche Aspekte von Urlaub und Alltag wurden nach positiv und negativ unterschieden. Allein erstere gingen, neu kombiniert und optimiert, ins Leistungsspektrum ein. Ausscheiden mußte dabei zuallererst der Kollektivgedanke. Ob im KdF-Seebad, US-Nudistencamp oder im DDR-Ferienobjekt: Die Urlauber bildeten immer den Prototyp einer utopischen Idealgesellschaft.

Im Centerparc hingegen wird alles getan, um die 3.000 übrigen Besucher vergessen zu machen. Die identischen Bungalowmodule sind so montiert, daß die Anwesenheit der Nachbarn aus dem Bewußtsein verschwindet – neben dem Seegrundstück erste Voraussetzung für die Landhausillusion, die mit großzügigem Wohnzimmer, offenem Kamin, Radio im Bad und Stereo-TV innen noch zusätzlich Nahrung erhält. Alle Bestandteile luxuriösen Wohnens sind vorhanden – auch wenn der Kamin nur die Größe eines Schuhkartons hat.

Flüchtige Berührungen mit den übrigen Monaden gibt es allenfalls im „Parc Plaza“, dem Einkaufs- und Gastronomiekomplex. Hier ist immer Sommerschlußverkauf. Familien mit Centerparc-Trolley im Schlepp halten inne bei den Marshmellow-Hasen; Papageien sprechen zu einem Kind. Wichtig ist das Einkaufszentrum nicht nur, weil hier 50 Prozent der Umsätze gemacht werden. Es ist auch unverzichtbare Gelegenheit für die Besucher, sich die dargebotene Welt anzueignen und mit Einkäufen die Eternitkulissen des „Sweet Shop“ oder des „Surprise Shop“ in den Stand der Realität zu erheben. Allein Fleisch und Wurst entgehen der alles verschlingenden Ästhetisierung: Störend ragt die schmucklose Fleischtheke in die Dekorationen. Die Irritation entspricht der, die man angesichts der nackten Saunagäste empfindet.

Dschungel und Strand, Boulevard und Marktplatz, Pueblo und Bambushütte drängen sich unter Glas. Beim Karneval der Urlaubskulturen kann man sie alle ausprobieren. Nicht die Überzeugungskraft des einzelnen Details zählt, wichtig ist, daß der Eintopf nach Urlaub schmeckt, ohne Durchfall, Sprachverwirrung oder Mückenstiche mit sich zu bringen: saubere Tropen, Gewässer, die täglich nach Abfällen durchsucht werden, Flamingos, deren Pink an Leuchtkraft kaum nachgelassen hat. Da Authentizität auch in den „echten“ Urlaubsregionen als Kategorie längst aufgehoben ist, muß die Centerparc-Pizzeria allenfalls den Vergleich mit ihrem Pendant in Uelzen aushalten. Dabei schneidet sie sehr gut ab.

Der fremd-vertraute Signifikantendschungel fühlt sich nicht nur spannend an wie ein Bazar und intim wie ein Wohnzimmer. Er dient auch dazu, gezielt Verwirrung zu stiften. Wer hier einen klaren Kopf bewahrt, bleibt unempfänglich für die Reize des Retortendorfs, kauft nichts, erkennt die bescheidenen Ausmaße des Glashauses und sucht das Weite. Deshalb verschwinden die Ausgänge hinter Palmen, deswegen kommt man – wie in amerikanischen Suburbs und europäischen Hochhaussiedlungen – immer nur auf verschlungenen „organischen“ Umwegen ans Ziel. Wechselnde Pflaster, Blumentöpfe, die im Wege stehen, kleine Brücken suggerieren auf wenigen Quadratmetern eine ausgedehnte Landschaft.

„Die Inspiration“ heißt es im letztjährigen Centerparc-Katalog über dem Bild einer perfekten Südseeinsel und „Das Ergebnis“ über einer fast identischen Insel im Centerparc-Bad „Aqua Mundo“. Unter der zirkuszeltgroßen Glaskuppel schieben sich Menschen in Badeschlappen um ein eher kleines, von Palmen und Felsen umgebenes Becken und lassen sich in der „Sonnengrotte“ die Höhlensonne auf den Bauch scheinen.

Doch ähnliche Badelandschaften gibt es mittlerweile in jeder Stadt. Der Trend geht zu spektakulären Inszenierungen. Vorreiter ist der „Ocean Dome“ im japanischen Miyazaki City. Dort werden den Gästen in einer 300 Meter langen Glashalle zur Unterhaltung unter anderem computergenerierte Unwetter angeboten. Der Centerparc hingegen will weder Badehosen- Geisterbahn noch Natursimulation sein. Seine Wildwasserrinne hat mit einem Gebirgsbach außer den Stromschnellen nichts gemein. Zwei Kinder im vulkanischen Whirlpool bekennen dennoch, den Centerparc dem Mittelmeer vorzuziehen: Das Wasser sei dort zu salzig.

Und es gibt noch soviel mehr: einen Streichelzoo, Funball-Courts, eine Spielearkade, „Subtropisches Bowling“ und den Floating-Room, bei dem der Gast zu Meditationsmusik eine halbe Stunde in Salzlösung gedreht wird. Nicht die Natur hat dem Centerparc Pate gestanden, sondern die Multifunktionsküchenmaschine, die Saft pressen, Gurken hobeln, Kartoffeln schälen und – jetzt neu! – Braten schneiden kann.

Wenn Centerparcs den „idealen Rahmen bilden, um Familienwerte wie Frieden und Geborgenheit wiederzuentdecken“ (Presseinformation), dann gerade, weil das Urlaubsterminal „genügend Beschäftigungsangebote bietet, die die Familie wieder zusammenführen“. Im schwedischen Ferienhaus, wo nicht Vollbeschäftigung herrscht, wäre man schnell durchgedreht. Auch die übrigen Therapiemaßnahmen überzeugen: Das Auto muß am Eingang zurückgelassen werden und ist als Streßfaktor und Spielzeug für den Vater ausgeschaltet. Sportarten mit Leistungscharakter sind tabu. Keine Sehenswürdigkeiten lenken die Eltern von ihren Kinder ab. Alle Restaurants schließen um Mitternacht. Kräfte, die sonst an individuellen sportlichen oder kulturellen Ehrgeiz, Urlaubsflirts oder nächtliche Abstürze vergeudet würden, werden auf direktem Wege der Familie zugeleitet. Nur vormittags können die Kinder einigen Clowns zur Betreuung übergeben werden.

Familiensinn ist aber auch Nebenprodukt unterschwelliger Disziplinierung. Zwar herrscht hier genau die Anonymität, die in anderen Großsiedlungen zu Vereinzelung und Vandalismus führt. Hier aber befindet man sich auf privatem Firmengelände, in einer Öffentlichkeit von Centerparcs Gnaden. Unmerklich nimmt man auf den Eigentümer Rücksicht. Bereits mit der Buchung erklärt man seine Bereitschaft zur Kooperation, schließlich gefährdet man sonst den eigenen Urlaubserfolg. Ohnehin fehlen aber in der Welt aus einem Guß jegliche Angriffsflächen. Jedes Detail hat seine Funktion und seinen Preis. „Kreativität“ brauche ich vor allem, um meinen Pfannkuchen individuell zu belegen. Die wenigen kleinen Ausschreitungen konnten bisher vom eigenen Sicherheitsdienst unter Kontrolle gebracht werden. Schulklassen und Fußballvereine, die vor allem für Ärger sorgten, werden in Zukunft von selbst ausbleiben: Die Achterbungalows werden nach und nach zu VIP-Villen für Familien mit Geld umgebaut.

Um auch die Sorge abzuschaffen, beim Essengehen und Einkaufen übers Ohr gehauen zu werden, schuf man eine Planwirtschaftsinsel mitten im Kapitalismus. Alle Restaurants und Geschäfte gehören zum Centerparc-Unternehmen. Alle Angestellten arbeiten für denselben Arbeitgeber. So kann das Angebot optimal abgestimmt werden, so wird der Besucher vor unangenehmen Überraschungen geschützt. Alle zahlen überall etwa gleich viel, niemand muß sich ausgeschlossen fühlen – außer denen, die es mangels Finanzkraft nicht in den Park geschafft haben.

In welchem Land man sich eigentlich aufhält, weiß man nicht genau. Daß die „Tagesschau“ problemlos empfangen werden kann, daß die D-Mark akzeptiert wird, erscheint keineswegs selbstverständlich. Auf eine merkwürdige Weise werden die Touristen zu Einheimischen. Sie sind die einzigen, die den Park bewohnen. Nachts, wenn die Angestellten wie Tagesausflügler nach Hause zurückgekehrt sind, sind sie unter dem Centerparc-Mond ganz allein.

Wo der Zugang zum Paradies nur eine Frage rechtzeitiger Buchung ist, wird Religion entbehrlich. Die noch unter dem früheren, katholischen Centerparc-Besitzer errichtete Kapelle war nach sieben Jahren Baustopp und einem Besitzerwechsel schon bei der Eröffnung des Parks zum „Pannenkoekhuisje“ umgeweiht worden. Diakon Bernd Knobloch hält den ökumenischen Gottesdienst jetzt im Kongreßzentrum „Meet & Dine“. Seine Gutenachtgeschichten mit christlicher Botschaft, immer dienstags im Plaza, haben nur so großen Zulauf, weil er die Kinder zuvor mit Luftballonmodellieren anlockt.

Ein Vier-Personen-Bungalow kostet für ein Wochenende (Freitag mittag bis Montag morgen) zwischen 700 und 1.000 Mark. Sauna etc. sind extra zu bezahlen. Buchung und Information unter Tel.: 0221/97 30 30 30