Preis für den Beobachter der willigen Vollstrecker

■ Auszeichnung für Daniel Goldhagen: Jürgen Habermas hielt die Laudatio auf ihn

Bonn (taz) – Er sei nicht nach Deutschland gekommen, um über die Vergangenheit zu sprechen, sagte der amerikanische Autor Daniel Jonah Goldhagen, bevor er gestern abend in der Bonner Beethovenhalle den mit 10.000 Mark dotierten Demokratiepreis der Blätter für deutsche und internationale Politik für sein Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ entgegennahm. Statt dessen konzentrierte er sich auf „einige besonders positive Aspekte der Bundesrepublik“.

Goldhagen, der in seinem Buch die Täter der Nazizeit „als ganz gewöhnliche Deutsche“ gekennzeichnet hatte, sagte in seiner Dankesrede, erst nach der Veröffentlichung seines Buches zu der Erkenntnis gelangt zu sein, daß seine Arbeit nicht nur von der Vergangenheit handele. Die Debatte um das Buch habe die Menschen daran erinnert, daß vor der Bundesrepublik kein politisches Modell existiert habe, das wiederhergestellt werden und als Vorbild für die Zukunft dienen könnte. Daß er in Deutschland für ein Buch mit solch schmerzlichem Inhalt ausgezeichnet werde, sei der eindrucksvollste Beleg für die positive Entwicklung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg.

Als bemerkenswert bezeichnete Goldhagen die Herausbildung einer „relativ nichtnationalistischen und selbstkritischen Nationalgeschichte“ sowie die „Entstehung eines international verantwortungsvoll agierenden Nationalstaates“. Er kenne kein Land, „das so offen und konsequent mit den unrühmlichen Kapiteln der eigenen Vergangenheit“ umgehe. Das, was in der Bundesrepublik erreicht worden sei, könne „als Leitbild“ für andere Staaten dienen.

Zu dieser Entwicklung habe allerdings Druck von außen beigetragen. „Ein mächtiger Mechanismus“, so Goldhagen, „hat die Entwicklung sowohl des historischen Selbstverständnisses als auch der Demokratie beeinflußt: ihre Internationalisierung.“ Die „Fremdbestimmung“ habe dazu geführt, daß die Sichtweisen Außenstehender mehr als anderswo in die Entscheidungsprozesse der Politik einbezogen worden seien. Das sei aber keine Schande, sondern „sollte Anlaß zur Genugtuung sein“.

Jürgen Habermas schaltete sich mit seiner Laudatio erstmals seit Jahren wieder ausführlich in die historische Aufarbeitung der Nazizeit ein. 1986 hatte er sich beim Historikerstreit gegen die sogenannten „Geschichtsrevisionisten“ wie Ernst Nolte und Michael Stürmer gewandt, die den Holocaust als Betriebsunfall der ansonsten intakten deutschen Geschichte bezeichnet hatten. In der Debatte um das Goldhagen-Buch, das von Habermas' Weggefährten Hans Mommsen als unwissenschaftlich bezeichnet worden war, hatte er bisher keine Stellung bezogen.

Das „eigentliche Verdienst“ des Buches sieht der Philosoph darin, daß es den Blick „nicht auf unterstellte anthropologische Universalien, nicht auf Gesetzmäßigkeiten“ beziehe, denen alle Menschen unterworfen seien. „Goldhagens Erklärung bezieht sich nicht auf ein Unveränderliches, in das wir uns zu schicken haben, sondern auf Faktoren, die durch einen Bewußtseinswandel verändert werden können – und die sich inzwischen auch durch politische Aufklärung verändert haben.“ Die kritische Einstellung gegenüber Eigenem sei es, was Goldhagens Studie fördere – und was die Besorgnis mancher Konservativer auf den Plan rufe. In diesen Kreisen glaube man, daß nur fraglose Traditionen ein Volk zukünftsfähig machen. Dies sei die Fortsetzung des Kalten Krieges mit historiographischen Mitteln. „Wie wir Schuld und Unschuld im historischen Rückblick verteilt sehen, spiegelt auch die Normen, nach denen wir uns gegenseitig als Bürger dieser Republik zu achten willens sind.“

Am Ende hoffte Goldhagen, daß die Internationalisierung der deutschen Geschichte und Demokratie nicht beendet sei. „Vielmehr müssen die Grundlagen der Bonner Republik und ihres Erfolges auf die Berliner Republik übertragen werden.“ Markus Franz