■ Bonn apart
: Rote Brüste

Die Zeiten sind ja leider vorbei, als jede zweite Windschutzscheibe mit Bekenneraufklebern zugepflastert war. Mit „Kernkraft nein danke“ oder „Steinzeit nein danke“, mit Friedenstauben oder Sprüchen wie „Haut die Bullen platt wie Stullen“. Damals wußte man wenigstens gleich, mit wem man es zu tun hatte. Mit Freund oder Feind.

Aber heute: Mütter warnen vor ihrem (offensichtlich gewalttätigen) Baby an Bord. Mercedesfahrer erwecken Mitleid, weil sie sich lediglich Sylt- Urlaube leisten können. Und unsere lieben Tierfreunde verblüffen damit, daß sie sogar gedenken, für Tiere zu bremsen und, wer weiß, vielleicht sogar für Kinder. Da reicht es nicht mehr, hinter einem herzufahren, um ihn kennenzulernen. Man muß sich erst umständlich miteinander unterhalten.

Ganz out sind Aufkleber von Parteien. Wie die Parteien selber. Aber das hat sich jetzt möglicherweise geändert. Und das ausgerechnet in dieser bitteren Woche, in der die Bergleute in Bonn die Bannmeile verletzt und damit unseren schönen Rechtsstaat mit Füßen getreten haben, in dieser Woche, in der sich die Bauarbeiter in Berlin einen Lenz gemacht haben, als könnten sie einfach so Schlechtwettergeld kassieren.

Die SPD jedenfalls hat Morgenluft geschnuppert. So wie der Frühling erste Blüten aus dem wintergebeutelten Boden treibt, hat die Fraktion anläßlich der Demo der Bergleute in Bonn an ihre Abgeordnete auffällig große rote Sticker mit der Aufschrift verteilt: „SPD-Bundestagsfraktion“. Die haben sie sich dann an ihre Jacken gesteckt, dahin, wo das Herz sitzt, und sind mit stolzgeschwellten roten Brüsten zu den „Kolleginnen und Kollegen“ geeilt, wie Rudolf Scharping die Kumpel nannte. Selten war es so schön, ein Sozialdemokrat zu sein. Endlich sind wir wieder wer! Und faß meinen Kumpel nicht an. Markus Franz