"Verzichten Sie auf nichts"

■ Was macht eine Branche, die nichts als Optimismus verkauft, in Zeiten der Krise? Am Wochenende verlieh der Art Directors Club in Berlin seine Werbepreise 1996

Man kann es kaum verhindern, auf dem Weg in die Welt der Spitzenwerbung über die Realität zu stolpern. An den Ausgängen des Berliner Bahnhofs Zoo umringt routiniert das Großstadtelend ein Gebinde Bierdosen, gegenüber werden die architektonischen Spuren des Wirtschaftswunders abgebrochen. Der Ort, wo der deutsche Art Directors Club am Wochenende die besten Erzeugnisse der Kreativbranche aus dem vergangenen Werbejahr präsentierte, ist die vormalige Staatliche Kunsthalle. Ein Etablissement, das vor drei Jahren wegen der allgemeinen Haushaltspleite der Kapitale geschlossen werden mußte.

Auf der anderen Seite der Welt tritt uns eine schöne Frau gegenüber, die weiß, was sie will – in einem Interieur, das eine Aservatenkammer gewesenen bürgerlichen Wohllebens sein könnte, eine gediegene Parfümerie. Die Dame wählt ein Flacon und staunend verfolgen wir dann, wie sie den Inhalt in den Motorraum ihres Audi gibt. Ein schönes Bild – da scheint die Werbung auch von sich selbst zu erzählen. Aber die Rolle derer, die dem Vorhandenen ein bißchen schönen Duft beigeben, genügt den Werbern lange nicht mehr, die am liebsten das Produkt machen und nicht nur seine Verkäufe. Die Aura, heißt es, ist das Produkt.

Woran kann man das deutlicher sehen als beim Auto? So verwechselbar im Design, so vergleichbar unübertrefflich in der Technik, wie die Fetische der Industriegesellschaft geworden sind, bedarf die Autoindustrie erst der künstlichen Aura, um sie zu verkaufen. Die Autofirmen sind die besten Kostgänger der Werbebranche (s. rechts). Doch die beschriebene Inszenierung aus der in Berlin mehrfach preisgekrönten Audi-Kampagne der Hamburger Aufsteigeragentur Jung v. Matt zeigt noch etwas anderes: Luxus ist auch in der Werbung nur mehr ein Abziehbild, das schwerlich klebt und immer kürzer haften bleibt (und das gilt nicht nur für Luxus). Bei ihrer Kampagne für den Auto-Verleaser Sixt ist es nicht mehr der auratische Luxus, sondern das krasse Glück der Handy-Schichten, in der dann schon spürbar ist, daß Luxus flüchtig geworden ist, wie das Duftwässerchen im Audimotor: „Soll Ihre nächste Gehaltserhöhung seinen Mercedes finanzieren?“ fragt die Anzeige unter den hochgezogenen Brauen des Finanzministers, „oder Ihren?“ Andere Autowerber müssen sich noch näher an der anderen Seite der Gesellschaft positionieren: „Verzichten Sie auf Lohn, sagen die Arbeitgeber“, so heißt es in einer anderen Anzeige, die auch nicht ohne den bösen Waigel auskommt. „Verzichten Sie auf Luxus, sagt der Finanzminister.“ Dann folgt die Botschaft des Werbejahres, klar wie sonst nirgends: „Verzichten Sie auf nichts, sagt Hyundai.“

„Verzichten Sie auf nichts!“ – dieses Credo, auf dessen Beteuerung die Werbeleute in den Zeiten der Krise verpflichtet sind, darf im größten Teil ihres Outputs nur sachte durchklingen. Auf Business as usual haben sie sich verlegt, die Qualität deutscher Werbung sei nicht mehr ganz so schlecht, heißt es, eine „Renaissance des guten Handwerks“ (ADC-Sprecher Carlos Obers) wird festgestellt. Die Depression ist nicht schön, aber wenigstens gut illustriert. Was auffällt: Es gibt keine neuen Ikonen mehr für die Dauer. Indikatoren für Verläßlichkeit, wie die in den Achtzigern über Jahre in jedem Spiegel auftauchende Fiat-Panda- Werbung sucht man vergeblich – immer kürzer laufen die Kampagnen, immer schneller werden ganze Images ausgetauscht. Und wenn doch noch Dauerhaftes auftaucht, dann nur im Rückgriff, auf die sicheren Zeiten der Sechziger und Siebziger, wo man noch kalauernd und unverhohlen frauenfeindlich werben durfte. Gemeint ist die Neuauflage der verstaubten „Jägermeister“-Kampagne („Ich trinke Jägermeister, weil ...“), die im letzten Jahr in der Szene für Furore sorgte.

Was noch auffällt: Eine Vorliebe für alle Arten menschlicher Abnormitäten – so viele dicke Bäuche, blasse Bürohengste und knallbunte Spießermatronen gab es selten. Dergestalt besorgen die Werber also das Geschäft der Globalisierung, indem sie deren Trümmer ästhetisierend fortkehren.

Die letzten Werbe-Idole in solchen Tagen sind Typen wie der aus der MTV-Kampagne, die das Spießervergnügen Ficken und Fernsehen in einen Abendhype zu transformieren sucht. Wobei das Wort „Ficken“ mit einem zeitversetzten Zensur-Piep überlagert wird – wer noch Tabus brechen will, muß sie selbst konstruieren.

Wo Images verschwunden sind, weil sie austauschbar geworden sind, wo ästhetische Gediegenheit gefährdet ist, weil Authentizität digitalisierbar wird, blieb den Werbern der Humor als allerletzter (und einzig autoritätsfreier) Weg der Bewußtseinsvermittlung. Aber die Selbstironie der Werber scheint beim Dauerschießen etwas fahl geworden zu sein. Die Rede vom fröhlichen Konsum, merkt man, muß in den Zeiten der Krise doch sehr anstrengend geworden sein. Draußen, vor der Ausstellung, können sich die Werber als wäre es Bombay oder Taipeh kostenlos eine Rikscha nehmen, um zum Hotel oder zur großen ADC- Gala zu kommen. Und feststellen: Vorläufig sind sie die, die sitzen, nicht die, die treten. Lutz Meier