Winnetou am Sachsenring

Hohenstein-Ernstthal, die Geburtsstadt von Karl May, wird seit zwei Jahren vom ersten bündnisgrünen Oberbürgermeister Deutschlands regiert  ■ Von Detlef Krell

Zwickau (taz) – Hier setzte Karl May sich in im vergangenen Jahrhundert in die Eisenbahn und startete zu seien Abenteuern. Noch heute zehrt Hohenstein-Ernstthal vom Ruf des Schriftstellers. Wer hat Karl May nicht gelesen? Erich Homilius wurde mit 12 Jahren zu einem Fan. Heute ist Homilius Oberbürgermeister des Ortes. Und läßt einen Stadtplan à la Karl May drucken. Der Name des Abenteurers soll Geld in die verschuldete Stadtkasse bringen.

Homilus ist nicht irgendwer. Er ist der erste bündnisgrüne Oberbürgermeister in Deutschland. Nachdem er mit den Karl-May- Bänden durch war, studierte er an der Technischen Hochschule in Chemnitz und kehrte als Physiker zurück nach Hohenstein-Ernstthal und arbeitete in einer Nickelhütte. Aus der Ökogruppe des Neuen Forums ging Homilius den Weg durch die Institutionen: Umweltamtsleiter im Landratsamt, Abgeordneter des Neuen Forums im Stadtparlament. Seit 1994 Bürgermeister mit dem Parteibuch von Bündnis 90/Die Grünen. Zu seinen Gunsten hatten SPD, PDS und Freie Wähler auf eigene Kandidaten verzichtet. Ein Jahr später wurde Hohenstein-Ernstthal im Zuge der Gemeindegebietsreform zur Großen Kreisstadt erklärt. Und Erich Homilius wurde der erste bündnisgrüne Oberbürgermeister Deutschlands.

„Wir müssen beweisen, daß wir in der Lage sind, so eine Stadt zu führen“, beschreibt er das schmale Terrain bündnisgrüner Kommunalpolitik. Die Erzgebirgskleinstadt mit ihren 15.500 EinwohnerInnen ist verschuldet wie andere sächsische Städte auch. In der 97er Haushaltskasse klafft ein Loch von drei Millionen – 15 Prozent des Etats. Die Karl-May-Stadt muß sie sich vom Mund absparen.

Hohenstein-Ernstthal war der dichtbesiedeltste Kreis in der DDR, Zentrum der Strumpfwirkerei und Weberei. Was Bahnreisende heute zuerst sehen, ist das Textilmuseum in der historischen Weberei. Von der innerstädtischen Industrie blieben Brachen; rund um die Stadt am Pfaffenberg liegen Landschaftsschutzgebiete. Wer das eine will, muß das andere mögen: Gewerbegebiete vor der Stadt zersiedeln die Natur; sanierungsbedürftige Fabrikflächen am Bahndamm verschrecken scheue Investoren.

Stadtentwicklung bleibt ein Dauerthema im romantischen Rathaus, und der grüne OB steht zwischen Baum und Borke.

Im Stadtrat sitzen fünf bündnisgrüne Abgeordnete, sechs von der CDU, vier von der SPD, drei von der PDS und je einer von FDP, DSU (Deutsche Soziale Union) und Freien Wählern. Hohenstein- Ernstthaler ist ein Gemischtwarenladen mit grünem Akzent: Die Stadt legte niedrige Quoren für kommunale Bürgerbegehren fest, richtete eine Buslinie ein und verbündete sich mit Nachbarorten zum „Zweckverband Am Sachsenring“.

Als in der vergangenen Legislaturperiode im sächsischen Landtag die Förderung des „Fahrtsicherheits- und Fahrtrainingszentrums Sachsenring“ entschieden werden sollte, überzeugte Homilius seine skeptischen Parteifreunde in der Dresdner Fraktion zum Jawort. So kehrte nach einem Vierteljahrhundert Zwangspause der Motorradsport auf den legendären Acht-Kilometer-Rundkurs von Hohenstein-Ernstthal zurück.

Für Aufsehen sorgte der OB mit einer Arbeitszeitregelung im eigenen Haus, die seit Jahresbeginn öffentliche Gelder schont: Die 43 MitarbeiterInnen in der Verwaltung arbeiten wöchentlich drei Stunden weniger, 37 statt 40. Für den Freizeitgewinn verzichten sie auf 7,5 Prozent ihres nicht so üppigen Gehaltes; und der Stadthaushalt gewinnt aus den reduzierten Personalkosten 700.000 Mark. Sichere Arbeitsplätze für kürzere Arbeitszeit. Ohne Lohnausgleich. Die Gewerkschaft ÖTV blies nicht zum Sturm auf das Bürgermeisterzimmer. Ihre Mitglieder im Rathaus stimmten für diesen Sparkurs, und die ÖTV-Landeszentrale empfiehlt ihn zur Nachahmung auch für Landesbedienstete. „Wir haben die Gewerkschaft von Anfang an einbezogen“, erklärt der Politiker den Kompromiß in der mühseligen Spardebatte. „An einer Umverteilung der Arbeit kommt man nicht vorbei.“ Wohl wissend, daß sich die Stadtkasse so auf Dauer nicht über Wasser halten läßt: „Mit drei Stunden haben wir die Schmerzgrenze erreicht.“

Langfristig bleiben die Kommunen auf Fördermittel angewiesen. „Da können Sie Konzepte machen wie Sie wollen“ – und zum Beispiel die Sanierung der vor 17 Jahren erbauten Schwimmhalle planen. Der Fördermittelantrag liegt seit 1993 im Regierungspräsidium Chemnitz. Zwischenzeitlich wurde das halbe Erzgebirge mit großzügig geförderten „Erlebnisbädern“ ausgestattet, worauf das Land einen Bäderstopp verordnete. Der trifft nun die jährlich 200.000 Besucher des maroden Hohenstein-Ernstthaler Hallenbades. Die Stadträte haben einstimmig einen Brief an den Ministerpräsidenten verfaßt und gebeten, „entsprechenden Einfluß auszuüben, daß eine Entscheidung zu unserem Antrag herbeigeführt wird“. Viel mehr bleibt ihnen nicht übrig von der kommunalen Selbstverwaltung.