Alles nur kulturelle Probleme?

Als Folge einer gewerkschaftlich angezettelten „Verleumdungskampagne“ bezeichnet der südkoreanische Botschafter in Guatemala, Jin-Yup Chu, eine Postkartenaktion der Kölner Sektion von amnesty international an seine Adresse: Besorgte deutsche Bürger machen ihn damit auf Verletzung von Menschen- und Arbeitsrechten in den Textilfabriken seiner Landsleute in Guatemala aufmerksam. Auch daß eine Gewerkschafterin von Mitarbeitern der Firma „M.J. Modas“ entführt und mit dem Tod bedroht worden sei – der Fall Débora Guzmán, der durch Recherchen von amnesty international verbürgt ist und international bekannt wurde – bezeichnet Chu als erfunden.

Basis der „Verständigungsprobleme“ zwischen den koreanischen Aufsehern und den guatemaltekischen Arbeiterinnen sind für Chu nur „kulturelle Unterschiede“. Wenn ein Arbeiter von einem Aufseher mal einen Klaps auf den Hinterkopf bekomme, sei das in Süd-Korea so ungewöhnlich nicht. Und der Satz „Wenn du morgen nicht zur Arbeit kommst, bring' ich dich um“ sei eine in Korea übliche Redewendung – und mitnichten wörtlich gemeint. Als ein Fabrikaufseher das unbedacht wörtlich ins Spanische übersetzt habe, habe man gleich eine Morddrohung daraus gemacht.

„Kulturelle Unterschiede“ hin, „Sprachprobleme“ her: Nichtsdestotrotz nimmt der südkoreanische Botschafter die an ihn adressierten ai-Postkarten offenbar so ernst, daß er sie sammelt und durchnumeriert: 701 stand auf der obersten Karte jenes dicken Stapels, den er deutschen Journalisten in Guatemala-Stadt unlängst verbittert auf den Tisch legte. Die internationale Aufmerksamkeit stärkt den guatemaltekischen GewerkschafterInnen den Rücken. Ihr Widerstand läßt die Wirtschaftskreise in Guatemala um weltweiten Imageverlust fürchten. Das macht die Unternehmer gesprächsbereit.

Im Januar setzten sich in Guatemala-Stadt Vertreter des Großunternehmerverbandes Cacif und des Gremiums der Exporteure nichttraditioneller Produkte (Gexpront) erstmals mit GewerkschafterInnen an einen Tisch, um die Gültigkeit der Internationalen Arbeitsrechtsstandards (ILO-Standards) für Guatemala schriftlich festzuhalten. Das sind im wesentlichen: Verbot von Zwangsarbeit und Kinderarbeit, Festsetzung von Maximalarbeitszeiten und Minimallöhnen, von Sicherheits- und Hygienestandards, Gewerkschaftsfreiheit.

Es soll auch eine Schiedsstelle, eine bilaterale Kommission, eingerichtet werden, die bei Arbeitskonflikten künftig vermittelt. „Man spricht in Guatemala jetzt eine neue Sprache“, sagt Cacif-Vertreter Guido Ricci stolz. Wie die einheimischen und ausländischen Textilfabrikanten Guatemalas allerdings motiviert werden sollen, den neuen Verhaltenskodex zu achten, weiß er nicht: Sanktionen sind bislang nicht vorgesehen.

Auch im Importland USA stellt man – nicht zuletzt infolge weltweiter heftiger Clean clothes- Aktivitäten – die Frage nach den Herstellungsbedingungen der aus Zentralamerika importierten Kleidung deutlicher. Einige Abnehmer machten bereits spontan Kontrollen in guatemaltekischen Textilfabriken. Bald könnte ein „Fair“-Siegel zur Eintrittsbedingung in den US-amerikanischen Markt werden. Gexpront hat gemeinsam mit der US-amerikanischen unabhängigen Prüferfirma Ernst und Young ein entsprechendes Zertifikat entwickelt, dem die ILO-Bedingungen zugrunde liegen. Ob ein Fabrikant sich daran hält, soll durch spontane Kontrollbesuche überprüft – und durch Befragung von mindestens 30 Prozent der Arbeiterschaft belegt werden. Bislang kann sich allerdings erst ein einziger Betrieb mit dem „Fair“- Siegel schmücken: der guatemaltekische Hemdenhersteller „Cardiz“, in dessen Firma das Betriebsprüfungsmodell entwickelt wurde. Annette Wagner