Peter M. erholte sich nicht wieder erholt

■ Die rechtliche Betreuung von geistig behinderten und verwirrten Menschen wird kaum kontrolliert / Angehörige wollen Einspruchsrecht

Für Peter M.*, 21 Jahre, schwer geistig behindert mit autistischen Zügen, wurde vom Amtsrichter vor zwei Jahren eine „Betreuung bestellt“. Peter M. wohnte damals mit zwei Studenten zusammen (teuer). Er konnte gut sprechen, war verkehrssicher und ausgeglichen. Heute lebt Peter M. in einem Behinderten-Wohnheim in der Nähe von Bremen (billiger). Er näßt und kotet wieder ein, hat schwer regrediert. So berichtet seine jetzige Betreuerin S., die Ende letzten Jahres diese Aufgabe übernommen hat. Frau S. sagt auch mit Blick auf ihre Vorgängerin, die Peter aus der Wohngemeinschaft herauskatapultierte: „An dem Jungen wurde mit dieser Art Zwangseinweisung ins Heim richtiggehend Körperverletzung begangen. Er hat sich nicht wieder davon erholt.“

Sein Schicksal ist symptomatisch für die Lücke im Betreuungsrecht, das 1992 das alte Vormundschaftsrecht abgelöst hat: Vom Amtsgericht eingesetzte BetreuerInnen sollen die Rechte verwirrter, alter, geistig behinderter oder psychisch kranker Menschen vertreten. Das können Angehörige übernehmen, ehrenamtlich oder hauptamtlich agierende Privatpersonen, Vereine, BehördenvertreterInnen, Rechtsanwälte. Doch wer kontrolliert kontinuierlich deren Arbeit?

Für Peter M. wurde zunächst eine hauptamtlich betreuende Sozialpädagogin bestellt. Die Anschuldigung, sie hätte die körperlichen, geistigen und seelischen Rückschritte ihres Schutzbefohlenen zu verantworten, weil sie sich nicht konsequent für seine Förderung eingesetzt habe, weist sie zurück. Peter M.s Mutter jedoch hatte mit diesem Vorwurf immer wieder Beschwerden beim Amtsgericht eingereicht. Diese wurden teils postwendend, teils per richterlichem Beschluß abgelehnt. Bis dann die Mutter einen Anwalt einschaltete (den sie selbst bezahlen muß) und Ende letzten Jahres Frau S. als neue Betreuerin ins Gespräch brachte. Daraufhin wurde die Betreuung gewechselt. Begründung des Gerichts: Frau S. sei vorzuziehen, da sie kostengünstiger (für 300 Mark im Jahr, statt wie Hauptamtliche für 75 Mark die Stunde) arbeite.

Damit ist jedoch der Kampf von Frau M. um die Rechte ihres Sohnes noch lange nicht beendet. Sie hat sich an den Bremer Petitionsausschuß gewandt, möchte den „Fall“ihres Sohnes zum Präzedenzfall machen, klagt Eingriffsmöglichkeiten für Angehörige von Betreuten ein.

Doch auch die Mühlen des Petitionsausschusses mahlen langsam. Nach Monaten ist Frau M. inzwischen angehört worden. Ausschußmitglied Monika Harms (CDU) sagt: „Ich verstehe die Aufregung nicht, wir kümmern uns.“Jetzt habe sich erst einmal die Justizdeputation mit der Forderung nach mehr Mitspracherecht für Familienmitglieder zu befassen.

Eine Änderung, die Bremen auf Länderebene vollziehen könnte. Auch im Bund wird das Betreuungsrecht reformiert: Die Vergütung der BetreuerInnen soll neu geregelt, sprich abgesenkt, werden, Anhörungen sollen auf einen Halbjahres-Mindest-Abstand reduziert werden. Und künftig darf auch die Ausbildung der Betreuenden ein Bestellungs-Kriterium sein. Wird die Betreuungsvergütung aber abgesenkt, werden mehr Betreute die Betreuung selbst bezahlen müssen. Daß dann viele auf Sozialhilfe runtergedrückt werden, damit sie überhaupt eine BetreuerIn bekommen, ist logische Konsequenz. All diese Umgestaltungen beschneiden die Einflußnahme der Betroffenen auf's Neue.

1995 wurden in Bremen über 3.000 Menschen von rund 400 Privatpersonen betreut. Die einstige Betreuerin von Peter M. etwa vertrat 20 Menschen gleichzeitig. Das ist üblich. Üblich ist auch, daß die Bremer VormundschaftsrichterInnen nur alle fünf Jahre Arbeitsberichte einfordern und Besuche machen. „Betreuungswechsel kommen selten vor. Bei Beschwerden warten wir immer ein wenig ab“, sagt Ellen Best, Pressereferentin beim Amtsgericht. Peter M. hat zu lange gewartet. Silvia Plahl

* Alle Namen geändert

Eine Selbsthilfegruppe von Betreuten ist über taz-Kleinanzeigen Chiffre: Selbsthilfegruppe Wümme zu erreichen.