Das Frauennetz ist anonym

Die Feministin Sadie Plant glaubt, daß die Anarchie des Internets subversiv ist. Frauen sind besser als Männer darauf vorbereitet, diese Technik zu nutzen

taz: Sie unterrichten „Cultural Studies“ an der Birmingham University in England, und arbeiten über „cybernetics“, „cyberfeminism“ und künstliche Intelligenz. Was ist „Cyberfeminismus“?

Sadie Plant: Ich beginne am besten da, wo alles angefangen haben könnte. Es ist nämlich wichtig festzuhalten, daß kein „Ismus“ existiert, den Sie „Cyberfeminismus“ nennen könnten. Eher ist die Tatsache an sich interessant, daß jede neue Idee in einen neuen Ismus gedrängt wird. Den Begriff „Cyberfeminismus“ benutzten ich und eine Gruppe australischer Frauen – sowie höchstwahrscheinlich viele andere, mir unbekannte Personen –, ohne voneinander zu wissen, aber trotzdem fast zur selben Zeit in den frühen 90ern. Ich bemerkte dann den Begriff in der Arbeit einer Gruppe von australischen bildenden Künstlerinnen, die sich „VNS Matrix“ nennen. Wir nahmen Kontakt auf und erkannten, daß wir ähnliche Denkweisen hatten, obwohl wir auf völlig unterschiedlichen Seiten der Erde lebten. Dieser Vorgang selbst interessiert mich, denn er verlief wie das Internet selbst. Dieses entwickelte sich, ohne einen richtigen Ursprungsort oder Anfangspunkt zu haben und ohne unbedingt Personennamen mit bestimmten Arbeitsprodukten zu verknüpfen. Es ist ein sehr anonymes Medium. Deshalb war die Art, wie der Begriff „Cyberfeminismus“ aufkam, beispielhaft für das Internet. Es hat keinen Autor oder Ursprungspunkt, sondern es war mehr eine evolutionäre Idee, die von selbst wuchs.

Ist das der Grund, warum Sie selbst im Internet oft anonym publizieren?

Ja, denn das Wichtigste ist, daß bestimmte Dinge gesagt oder getan werden. Wenn Sie beispielsweise bei zeitgenössischer Musik nachschauen, sehen Sie, daß vieles als „white label“ produziert wird, ohne Namen. Das mag alle möglichen Probleme vom kommerziellen Standpunkt aus hervorrufen: zum Beispiel, wer das Geld oder die Anerkennung bekommt. Trotzdem ist nicht das Wichtigste, wer zirkuliert, sondern was zirkuliert.

Aber ist es nicht besonders für Frauen wichtig, eine Stimme zu haben und mit einer Meinung identifiziert zu werden?

Ja, das ist ein Thema, das nicht ignoriert werden darf. Ich veröffentliche nicht viele meiner Arbeiten anonym. Dennoch ist es im Moment und wird auch in der Zukunft eine interessante Sache sein. Denn wir leben in einer Zeit, in der es bald nicht länger notwendig sein wird, diese Stimme oder diesen Status einzufordern. Für Frauen geht es momentan eher darum, Männer darin aufzuholen, ihre eigenen Namen und Stimmen einzubringen. Aber heute bricht selbst für Männer die Idee eines individuellen Besitzanspruchs auf einen Namen oder eine Stimme zusammen. Ironischerweise werden Frauen vielleicht entdecken, daß ihre Publikationsarten, die oft anonym oder pseudonym waren, selbst größere Bedeutung erlangen. Möglicherweise wird es für Frauen eine sehr nützliche Fähigkeit werden, Arbeit produzieren zu können, ohne das Bedürfnis zu haben, der Arbeit ihren Namen zu geben.

Sie behaupteten, daß es Ähnlichkeiten zwischen Frauen und Technologie gäbe, da beide als Mittel zum Zweck oder als Gebrauchsware benutzt wurden. Im Laufe der Zeit hätten beide jedoch mehr Selbständigkeit erlangt. Was hat sich seitdem im Verhältnis von elektronischen Medien oder Netzwerken und Frauen geändert?

Es ist sehr viel einfacher, diese Dinge rückblickend zu betrachten. Wir werden bald zurückschauen können und dann sehen, daß gegenwärtig Dinge geschehen, die wir jetzt noch nicht richtig sehen können. Es gibt eine erstaunlich große Anzahl von Frauen, die nicht nur das Internet benutzen oder dort Kunst produzieren, sondern in ihm ein völlig neues Medium erkennen, das sehr unterschiedliche Kommunikationsmöglichkeiten bietet – Kommunikationsarten, die Frauen schon viel praktiziert haben, wie ihre eigenen informellen Netzwerke beispielsweise zeigen. Das gehört alles zu einer einzigen Verschiebung: Frauen waren gezwungen, informelle Netzwerke zu knüpfen, denn professionell konnten sie keine erstellen. Aber informelle Netzwerke werden zunehmend der normale Arbeitsweg werden. Ältere Kommunikationsformen werden an Bedeutung verlieren, damit verändert sich auch das Verhältnis zwischen Frauen und Technologie.

Können Frauen das Netz subversiv benutzen?

Ja, aber ich befürchte, daß das Internet ein großer korporativer Markt werden könnte, noch bevor irgend jemand seine Existenz entdeckt hat und anfängt, über potentielle Aktionen im Internet nachzudenken. Im Moment wird es immer noch angewandt, um alte Formate in neue Formate zu übersetzen, ohne den Inhalt zu modifizieren. Zum Beispiel haben Sie etwas auf Papier, was sie ins Internet bringen möchten. Aber notwendig ist, einen Denkprozeß darüber zu beginnen, wie Sie Arbeiten produzieren oder Informationen ins Netz oder in andere neue Medien bringen könnten, die speziell auf das Netz zugeschnitten sind. Sie müssen auf die spezifische Arbeitsweise des Internets achten. Vielleicht klingt das nicht besonders subversiv, ist es aber trotzdem, denn das würde die anarchische Seite des Internets verstärken: die Seite, deren Arbeitsweisen in der älteren Kultur nicht zur Verfügung standen. Zum Beispiel dezentralisierte, horizontale Kommunikation. Sie ist an sich potentiell subversiv. Frauen können und werden auf diese Weise arbeiten und praktizieren dies auch schon.

Aber wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Frauen, die Zugang zum Netz haben, und Frauen, die keinen Zugang besitzen?

Das Zugangsproblem wird sehr schnell gelöst sein. Alle beteiligten Firmen wollen unbedingt jeden im Netz haben. Im Moment müssen Sie noch selbst versuchen, ins Netz zu kommen. Aber das wird sich umkehren. Das Problem wird möglicherweise bald eher darin bestehen, wie Sie dem Netz ausweichen, als darin, wie Sie hineinkommen. Allgemein sind Computer einige der wenigen Waren, deren Preise seit ihrem Erscheinen gesunken sind. Das Problem ist eher, daß viele, besonders Frauen, Angst vor Technologie haben, die viele Männer – übrigens auch einige Feministinnen – schüren: „Das ist nichts für dich, das ist Männersache.“ Das hat heute mehr mit dem Zugangsproblem zu tun als der Faktor Geld. Wenn Sie zum Beispiel an Autos oder das Leben in einer motorisierten Kultur denken: Ganz sicher besitzen nicht alle ein Auto, aber trotzdem schaffen es alle irgendwie, Zugang zu motorisiertem Transport zu haben. Das ist die Richtung, in die die Entwicklung geht: daß vielleicht nicht alle einen Computer besitzen – obwohl ich sogar glaube, daß möglicherweise das alle tun werden. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, hätte dies immer noch eine viel größere kulturelle Wirkung als nur die Frage, wer Computer besitzt. Was wirklich interessant ist, ist die Verbindung zwischen dem, was im Netz passiert, und dem, was in anderen Kontexten geschieht. Es handelt sich nicht nur darum, alle Energie ins Netz zu stecken, sondern wie man zum Beispiel von der Zirkulationsart von Informationen im Netz lernen kann und wie man dies in andere soziale Kontexte übersetzen kann. Es geht um komplexere Fragestellungen in bezug auf Technologie: nicht nur im Sinne von bestimmten Maschinen, sondern von Handlungsweisen in allen Kontexten.

Sie sagen, daß es immer vorteilhafter werde, weiblich zu sein. Was ist weiblich?

Wir wissen lediglich, was es heißt, männlich zu sein. Spannend an Weiblichkeit ist die Tatsache, daß sie entdeckt werden muß. Heute hat es Vorteile, weniger festgelegt zu sein. Gefährlich an Männlichkeit ist, daß sie schon so sicher ist. Während das Weibliche – was auch immer das ist – etwas ist, mit dem experimentiert werden muß. Und genau das ist gut daran.

Interview: Antonia Ulrich

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