Ein Ende der längsten Geiselnahme, die es jemals in Lateinamerika gab, ist alles andere als gewiß

Buenos Aires (taz) – Erstmals seit der Geiselnahme in der japanischen Botschaft in Lima vor 100 Tagen hat die peruanische Regierung Zugeständnisse angedeutet. Justizminister Carlos Hermoza kündigte am Dienstag abend (Ortszeit) an, bis zu 250 Gefangene freizulassen, denen zu Unrecht terroristische Straftaten zur Last gelegt würden. Er erklärte allerdings, daß die Freilassung nichts mit den Verhandlungen zur Lösung des Geiseldramas zu tun hätten.

Gleichwohl bestätigte er damit indirekt peruanische Presseberichte von Montag, wonach eine solche Freilassung Teil eines Plans zur Lösung des Geiseldramas ist. Demnach sollen die Geiselnehmer straffrei ausgehen und ins kubanische Exil ausreisen dürfen. Desweiteren ist die Rede von einer Geldzahlung in unbekannter Höhe. Eine neuerliche Gesprächsrunde zwischen den Geiselnehmern und den Vermittlern ist gestern allerdings ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Der kanadische Botschafter Anthony Vincent, Mitglied der Vermittlerkommission, sagte nach dem Treffen, die Gespräche seien normal und wie gewöhnlich verlaufen. Ob der Weg für eine Lösung der Geiselkrise damit erreicht war, blieb gestern aber unklar.

Bislang hatte der peruanische Präsident Alberto Fujimoro noch stets geprahlt: „Ich habe eine Geduld, die manche Leute in den Wahnsinn treiben kann.“ Noch Ende vergangener Woche hatte sich sogar der Opus-Dei-Bischof und Fujimori-Vertraute Juan Luis Cipriani, der als Mitglied der Garantiekommission die Verhandlungen beobachtet, in ungewohnter Manier beschwert: „Wir können nicht einem langsamen Prozeß zusehen, der es nicht erlaubt, vorwärtszukommen, einem Prozeß, bei dem den Garanten nicht vertraut wird, weil die Verantwortung, die wir übernommen haben, einfach nicht ernst genommen wird.“ Gemeint waren mit dieser Botschaft beide Seiten, sowohl die „Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru“ (MRTA), die noch immer 72 Geiseln in der Residenz des japanischen Botschafters in ihrer Hand hat, als auch die peruanische Regierung. Ein baldiges Ende der längsten Geiselnahme, die es jemals in Lateinamerika gab, ist deshalb alles andere als gewiß.

Der Präsident ist es nicht gewohnt, Kompromisse machen zu müssen. Statt dessen erteilt er lieber Befehle und dirigiert. „Bei einer Verhandlung muß es ein Übereinkommen geben. Man kann nicht einfach Sieger und Besiegte haben, weil es eine schwierige Situation ist“, mahnte dagegen Cipriani. Wirklich aufgeweicht sind die Fronten allerdings noch nicht. Die MRTA will ihre 72 Geiseln, unter denen auch der peruanische Außenminister Francisco Tudela ist, nur dann laufenlassen, wenn knapp 400 inhaftierte MRTA-Aktivisten aus den Gefängnissen entlassen werden. Für Fujimori kommt das nicht in Frage. In ciceroscher Manier stellt er bei jeder Gelegenheit fest: „Im übrigen bin ich der Ansicht, daß kein einziger Gefangener entlassen wird.“ In dieser Position hat sich Fujimori derart festgebissen, daß er davon öffentlich nicht mehr abrücken kann. Deshalb muß die peruanische Regierung so tun, als habe die Freilassung von Gefangenen nichts mit der Geiselnahme zu tun.

Ob die MRTA-Aktivisten eine solche Selbsttäuschung akzeptieren werden, steht jedoch dahin. Der Parlamentsabgeordnete der Vereinigten Linken (IU), Javier Diez Canseco, der selbst in der Botschaft gefangengehalten wurde, erklärte der taz: „Die Gefangenen sind der Knoten der Gespräche, der nicht gelöst werden kann.“ Die Regierung könne und wolle nicht 400 Gefangene als Ergebnis einer Geiselnahme auf freien Fuß setzen. Diez Canseco warnt deshalb immer vor einem „tragischen Ende der Krise“. Fujimoris Militär- und Geheimdienstapparate würden ohnehin eine militärische Lösung einer politischen vorziehen. Ingo Malcher