■ Für die Menschenrechte im Iran müssen auch die Unternehmer sorgen. Nicht zuletzt im eigenen Interesse
: Warum Moral allein nichts nützt

Die Menschenrechtslage im Iran hat sich 1996 im Vergleich zum Vorjahr weiter verschlechtert (siehe taz von gestern). Was kann Deutschland für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Iran tun? Zunächst bringt es wenig, sich weiter um die Floskel vom „kritischen Dialog“ zu balgen. Verfechter und Kritiker des „kritischen Dialogs“ gehen offenbar von der gleichen – falschen – Voraussetzung aus, daß es überhaupt eine deutsche Politik gegenüber dem islamistischen Regime gebe. Dem ist leider nicht so. In der Realität wird ein Sammelsurium von Versatzstücken angeboten, mit einer bunten Schar von Akteuren.

Eine menschenrechtsorientierte Politik darf die Wirtschaftsbeziehungen nicht außer acht lassen – sonst wird sie jederzeit durch schnöden Mammon konterkariert. Boykottaufrufe helfen hier allerdings wenig. Vielmehr müßten private und staatliche Unternehmen in Europa und Japan dazu angeregt werden, ihre Investitionen und Handelsbeziehungen und ihre Kreditpolitik gegenüber dem Iran im Einklang mit dem Ziel der Bewahrung der Menschenrechte zu gestalten.

Derzeit sollten potentielle Investoren den Verantwortlichen im Iran erklären, daß größere Projekte im Iran eine wunderbare Sache wären, aber leider erst konkretisiert werden können, wenn die Repression gegenüber kritischen iranischen Bürgern beendet ist. Daß Menschen gesteinigt werden, daß sie wegen „Ehebruchs“ oder weil sie ihrer Religion nicht abschwören wollen (wie im Fall von Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Bahai) umgebracht werden, ist mit einer ungestörten Fortsetzung oder gar einem Ausbau wirtschaftlicher Tätigkeiten unvereinbar.

Verhaftungswellen und Hinrichtungen könnten mit einer Stornierung, Verzögerung und Ausdünnung von Projekten beantwortet werden. Verbesserungen der Menschenrechtssituation hätten eine Erweiterung wirtschaftlicher Beziehungen zur Folge. Auch ohne viele Gesetze, Erlasse und Verordnungen können sich internationale Unternehmen vor Ort für den Schutz bedrohter Menschen einsetzen. Sicherlich, das ist eine moralische Forderung. Aber eine politische Liberalisierung und die Einhaltung von Menschenrechten liegen durchaus im langfristigen Kapitalinteresse. Denn verschärfte Repressionen können auf Dauer zur Eskalation innenpolitischer Spannungen führen. Stabilität, stets ein inniger Wunsch von Investoren, kann im Iran nur durch politische Liberalisierung erreicht werden.

Einer der Gründe, warum es keine Alternative zur Liberalisierung gibt, ist der spezielle Charakter der Repression, den das islamistische Regime ausübt. Im Iran werden – wie in anderen Diktaturen auch – politische Gegnerinnen und Gegner verfolgt. Darüber hinaus steht aber jeder halbwegs ungezwungene Stoffwechsel der Gesellschaft auf dem Index. Die „kulturelle Apartheid“ (Nasser Pakdaman) und die Apartheid zwischen den Geschlechtern lassen jedes in anderen Diktaturen gewöhnliche Vergnügen zum „Verbrechen“ werden. Das verstopft alle Ventile, mit deren Hilfe in „säkularen“ Diktaturen Dampf abgelassen werden „darf“, solange sie als unpolitisch gelten. Im Iran dagegen ist die Beschreibung des menschlichen Körpers in einem Roman so politisch wie ein verrutschtes Kopftuch oder Rockmusik. Wenn die nackte, ungeschminkte Unduldsamkeit zuschlägt, werden vermutlich deren Exekutoren letzten Endes zu Totengräbern des eigenen Systems werden. Und das mit ungeheuren menschlichen Kosten: eher als Katastrophe denn als politischer Aufstand.

Lokale Aufstände aus sozialen, aber auch aus politischen Gründen sind im Iran seit etwa 1992 eine regelmäßige Erscheinung. Vor wenigen Wochen haben Erdölarbeiter für ihre Rechte demonstriert. Proteste in diesem Wirtschaftsbereich zeigen, daß Investoren unter den derzeitigen politischen Bedingungen möglicherweise wenig Freude an neuen Ölquellen haben werden.

Aber auch die kritische Öffentlichkeit hierzulande betreibt eine naive Iranpolitik. Meist fordert sie nur, daß eine Kritik an Menschenrechtsverletzungen nicht durch Geschäftsinteressen überspielt werden darf. Wohl wahr. Aber das reicht nicht mehr aus. So muß aus dem Nebeneinander von Wirtschaft und Politik ein Miteinander werden. Gerade deshalb sind Stellungnahmen wie die des FDP-Politikers Jürgen Möllemann zur wirtschaftlichen Kooperation mit dem Iran so enttäuschend.

Möllemann hatte vor einigen Wochen erstens einen bunten Strauß von möglichen Aufträgen für die deutsche Wirtschaft im Iran präsentiert, zweitens empfahl er, so schnell wie möglich zuzugreifen, und stellte dann, bezogen auf die Menschenrechte, fest: „Wir sollten nicht ein Segment herauspicken und festlegen, hier sollen unsere Ideale verwirklicht werden.“ Die drei Zutaten zusammen ergeben genau die falsche Mischung. Abgesehen davon, daß es nicht um „unsere Ideale“, sondern um international vereinbarte Standards geht, ist hier vor allem einzuwenden, daß Möllemann das große Geschäft nicht von der Menschenrechtssituation abhängig machen will. Nicht daß er neue Vertragsabschlüsse befürwortet ist zu kritisieren, sondern daß er dies offenbar um jeden Preis und für alle Fälle tut.

A und O einer menschenrechtsorientierten Politik der Wirtschaftsbeziehungen ist es allerdings, daß eine Verständigung mit den möglichen „Mitbewerbern“ erreicht wird, damit nicht hinterher der in die Röhre schaut, der menschenrechtsbewußt investieren wollte, während andere die Stahlröhren zusammenbasteln. Würden solche internationalen Übereinkommen auch die USA miteinbeziehen, dann könnte dies eine Alternative darstellen zur derzeitigen Boykottpolitik der Vereinigten Staaten gegenüber dem Iran. Letztere muß ohnehin in jedem einigermaßen wendigen Geschäftsmann nur den Wunsch erzeugen, ihn zu unterlaufen.

Die mittlerweile 18jährige Tragödie des islamistischen Herrschaftssystems im Iran und ihre bis in die Gegenwart hineinragenden grausamen Folgen sind letztlich kein Fall für „den Westen“ allein: Sie sind – wie Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt – ein Problem für die ganze Völkergemeinschaft.

Vor kurzem bebte im Iran wieder die Erde – Tausende starben. Selbstverständlich muß hier internationale Unterstützung gegeben werden. Aber wer die Folgen der Grausamkeit der Natur bekämpft, sollte auch vor der Gewalttätigkeit blinder Mächtiger nicht die Augen verschließen. Martin Forberg