Kohl fordert Lafontaine heraus

■ Jetzt ist der Kanzler zum Spitzengespräch mit dem SPD-Vorsitzenden über die Steuerreform bereit

Bonn (taz) – Die SPD triumphiert. Helmut Kohl hat sich zu neuen Steuergesprächen mit der SPD-Führung bereit erklärt. Die Sozialdemokraten hatten seit Wochen als Bedingung für die Fortführung der Steuergespräche ein Gipfeltreffen zwischen Kohl und SPD-Chef Oskar Lafontaine gefordert. Kohl bot nun als Kompromiß ein Treffen in größerer Runde an – mit gönnerhafter Geste: „Wenn der Herr Lafontaine das braucht, wegen der internen Diskussion um die Kanzlerkandidatur noch einmal zusammenzukommen, dann habe ich keine Einwände dagegen.“

Lafontaine begrüßte das Angebot, verlangte aber, bei diesem Gespräch müsse der Rahmen für die Steuerreform abgeklärt werden. Wenn die Koalition bereit sei, ihren Entwurf zu verändern, sei auch die SPD zu weiteren Diskussionen bereit. Ansonsten müsse sie sagen: „Es tut uns leid.“

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier bezeichnete Kohls Gesprächsbereitschaft als „Zeichen der Stärke für die SPD“. Die Koalition habe in jüngster Zeit öfter nachgeben müssen. So sei sie bereit gewesen, Teile der Steuerreform auf 1998 vorzuziehen. Die Anwesenheit von Kohl bei den Gesprächen sei erforderlich, weil es keinen Sinn mache, sich etwa mit Finanzminister Waigel „über ein Defizit von 53 oder 56 Milliarden Mark zu zanken“. In Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit müßten Entscheidungen ohne Umwege fallen.

Bislang hatte Kohl die Forderung der SPD als taktisches Geplänkel zurückgewiesen. Vor Ostern war die Koalition von einem Scheitern der Verhandlungen ausgegangen. CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble sprach bereits vom Abbruch der Verhandlungen, dem der langwierige parlamentarische Weg über Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuß folgen würde.

Aus Koalitionskreisen verlautet, Kohls Angebot habe unmittelbar mit seiner Erklärung einer erneuten Kanzlerkandidatur zu tun, die gestern vom CDU-Präsidium begrüßt wurde. Kohl müsse jetzt zeigen, daß er bereit sei, Probleme zu lösen, sagte ein CDU-Abgeordneter. „Vorher hätte er das nicht gemacht“, hieß es auch aus der FDP-Parteizentrale. Jetzt könne er mit Großmut auf die an sich unsinnige Forderung der SPD eingehen.

In der Sache sind sich Koalition und SPD nicht wesentlich nähergekommen. Die SPD fordert eine Senkung der Lohnnebenkosten um zwei Prozent schon zum 1. Juli dieses Jahres, die über eine Erhöhung der Energiekosten finanziert werden soll. Keinesfalls will sie einer höheren Mehrwertsteuer zustimmen. Die Koalition lehnt eine Ökosteuer ab. Zudem besteht die SPD für Anfang 1998 auf einer steuerlichen Entlastung der Arbeitnehmer und Familien. Die CDU beharrt dagegen weiterhin auf einer deutlichen Senkung des Spitzensteuersatzes.

Beide Seiten zweifeln an einem Erfolg der Verhandlungen. CDU-Generalsekretär Peter Hintze sagte, er habe den Eindruck, Lafontaine wolle das gesamte Projekt blockieren. SPD-Sprecherin Dagmar Wiebusch nannte das Spitzengespräch eine „letzte Chance“. Die Verhandlungen dürften nicht derart „statisch“ verlaufen wie die letzten Male. „Wir halten ein Scheitern der Verhandlungen aus.“ Markus Franz