Die drohende Abschiebung verschärft die traumatischen Angstzustände bosnischer Flüchtlingsfrauen, die während des Krieges Opfer von Vergewaltigung wurden. Auf einer mehrstündigen Anhörung gestern in Bonn klagten Terre des Femmes und Medica

Die drohende Abschiebung verschärft die traumatischen Angstzustände bosnischer Flüchtlingsfrauen, die während des Krieges Opfer von Vergewaltigung wurden. Auf einer mehrstündigen Anhörung gestern in Bonn klagten Terre des Femmes und Medica mondiale die Verlängerung des Bleiberechts ein.

Abschiebung wäre ein Trauma

„Mein Körper ist kaputt. Meine Seele wurde im Lager zerstört. Nichts ist wie vorher.“ So beschreibt Eniza Hodžić (Name geändert) ihre Gefühle, wenn ihre Verfassung es überhaupt zuläßt, mit anderen zu sprechen. Sie war während des Krieges in Bosnien im serbischen Lager Omarska inhaftiert. Dort sah sie Folterungen und Hinrichtungen mit an, wurde selbst vergewaltigt und gedemütigt. Ein Wärter führte die 50jährige nackt an einer Hundeleine herum.

Seit 1993 lebt Eniza Hodžić als Kriegsflüchtling in Bayern. Ihre Erlebnisse hat sie bis heute nicht verkraftet. Sie leidet unter Schlafstörungen. Phasen großer Erregung wechseln mit apathischen Zuständen tiefer Hoffnungslosigkeit. Vorübergehend ging es ihr etwas besser, aber seit einigen Monaten leidet die muslimische Bosnierin wieder stärker unter Angstzuständen; sie fürchtet die Abschiebung. „Ich wache auf und denke: Um Himmels willen, jetzt stehen sie vor der Tür und holen mich ab.“

In ihre Heimatstadt Prijedor, heute in der serbischen Republik gelegen, könnte Eniza Hodžić nicht zurückkehren. Aber auch an dem Ort, an dem die bosnische Regierung sie ansiedeln möchte, würde sie eine neue Begegnung mit ihren Peinigern fürchten. Die meisten Kriegsverbrecher sind nach wie vor auf freiem Fuß.

Die Münchner Psychologin Maria Zepter berichtete auf einer Veranstaltung der humanitären Organisationen Medica mondiale und Terre des Femmes gestern in Bonn vom Schicksal der Frau, deren ganze Existenz vom Krieg vernichtet worden ist. Aus Angst um ihre Sicherheit will sie weder ihren Namen noch ihren Beruf veröffentlicht wissen und kam auch nicht selbst zu der Veranstaltung.

„Schwer traumatisiert“ sei die Flüchtlingsfrau durch ihre Erlebnisse, erklärte Maria Zepter: „Eine Abschiebung wäre eine neuerliche Menschenrechtsverletzung.“ An Eniza Hodžićs Beispiel wiesen Expertinnen aus den Bereichen Medizin, Justiz, Psychologie und Sozialarbeit nach, wie schwer es gerade Frauen haben, mit ihren Erlebnissen einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu begründen.

In anderen Ländern wie Kanada, Australien und Neuseeland werden frauenspezifische Fluchtgründe als gesonderter Tatbestand anerkannt. Dazu gehören beispielsweise genitale Verstümmelungen, sexuelle Verfolgung und Zwangsehen. In Deutschland wird dagegen – so die Organisatorinnen der Bonner Veranstaltung – frauenspezifische Verfolgung „nicht selbstverständlich“ als Menschenrechtsverletzung wahrgenommen. Medica mondiale und Terre des Femmes fordern deshalb mindestens die Einrichtung von Frauen- Härtefallkommissionen in allen Bundesländern und einen gesicherten Aufenthaltsstatus für traumatisierte Frauen aus Bosnien und anderen Krisengebieten.

Das allein löst noch nicht alle Probleme. „Einen Härtefall zu begründen ist sehr, sehr schwierig“, berichtete die Pädagogin Beshid Najafi von ihren Erfahrungen aus der Arbeit mit Migrantinnen in Berlin. Frauen müßten „sehr, sehr stark sein, um Lebens- und Leidensgeschichte widerspruchsfrei und ohne Lücken darzustellen“.

Frauen, die Ähnliches erlebt haben wie Eniza Hodžić brauchen oft Jahre, um über die Ereignisse sprechen zu können. Aber auch diejenigen, die sich schon jetzt dazu imstande fühlen, bekommen nicht die nötige Hilfe. Die meisten Bosnierinnen haben in Deutschland keinen Asylantrag gestellt, sondern leben hier mit einer Duldung als Kriegsflüchtlinge. Damit haben sie im Regelfall nur Anspruch auf medizinische Notfallversorgung, nicht aber auf bezahlte Psychotherapie. Die wäre jedoch nötig, um als traumatisiert anerkannt zu werden – ein Teufelskreis. Eine Einzelfallprüfung sei etwas, „was unsere Politiker ständig im Munde führen, was in der Praxis aber nur ganz selten geschieht“, sagte die Rechtsanwältin Florentine Heiber aus Remscheid. Der Juristin zufolge ist es nach dem Ausländergesetz möglich, eine Duldung in eine Aufenthaltsbefugnis umzuwandeln, wenn „dringende humanitäre Gründe“ vorliegen. „In der Praxis wird von der Bestimmung sehr wenig Gebrauch gemacht“, beklagte Heiber. „Ich glaube, daß sich Behörden einfach die Möglichkeit nicht nehmen lassen wollen, einen Aufenthalt kurzfristig zu beenden.“

Die Ärztin Monika Hauser nannte es ein „Armutszeugnis, daß es überhaupt Härtefallkommissionen geben muß“. Bei Flüchtlingen aus bestimmten Gegenden sollte ohne individuelle Nachprüfung ein Trauma akzeptiert werden. Alle Teilnehmerinnen der Veranstaltung, die von den Organisatorinnen als „öffentliche Sitzung der symbolischen Frauen-Härtefallkommission“ angekündigt worden war, waren sich einig: Eniza Hodžić darf nicht abgeschoben werden. Ob das für sie zuständige Landratsamt das genauso sieht, bleibt abzuwarten. Dort wurde ihr signalisiert, sie könne nicht mit einer Verlängerung ihrer Duldung rechnen. Die läuft im September ab. Bettina Gaus, Bonn