Wehrmachtsausstellung unter Feuer

Nach Recherchen von „Focus“ ist ein Foto der Ausstellung fälschlich als Erschießungsszene gekennzeichnet. In Wirklichkeit soll es Juden bei einer „Zwangsreinigung“ zeigen  ■ Von Christian Semler

Berlin (taz) – Allgemeines, erfreutes Händereiben im Lager derer, die der Ausstellung „Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung schon immer Einseitigkeit und Willkür in der Auswahl der Materialien vorgeworfen haben. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Focus wird behauptet, die Aussteller hätten ein Bild „verfälscht“.

Dabei handelt es sich um ein Foto, das zum Teil nackte, zum Teil noch halb bekleidete Männer zeigt, die in mehreren Reihen aufgestellt sind. In der Ausstellung war das Foto als Momentaufnahme kurz vor der Ermordung dieser Männer – offensichtlich zusammengetriebener Juden – interpretiert worden. Focus hat nun recherchiert, daß das Foto aus einer Nazibroschüre von Helmut Gauweiler aus dem Jahr 1941 stammt und den Zweck hatte, Juden aus dem Generalgouvernement als verschmutzte Subjekte zu denunzieren, die man erstmals in ihrem Leben einer Zwangsreinigung unterworfen habe. So der entsprechende Text der Broschüre.

Das Magazin behauptet, der Ausstellungsmacher Hannes Heer hätte sich über eine Mitteilung hinweggesetzt, die seit 1992 im Ludwigsburger Archiv der Zentralen Ermittlungsstelle für Naziverbrechen dem dort liegenden Foto beigefügt war und die auf die ursprüngliche Quelle, die Nazibroschüre, verwies. Tatsächlich konnte Heer die beigefügte Mitteilung gar nicht kennen, da er das Foto schon 1991 in Ludwigsburg gesichtet hatte.

Die Arbeit der Hamburger stand vor der Schwierigkeit, daß die in der Ausstellung reproduzierten Fotos kaum jemals Angaben enthielten, wann und wo sie entstanden waren. Um solche Details waren die Wehrmachtsangehörigen, SS-Leute und Polizisten nicht besorgt, wenn sie ihre Untaten filmten oder fotografierten. Bei vielen Bilddokumenten, darunter allen, die aus dem Bundesarchiv stammten, ist eine Datierung und Verortung dennoch geglückt, aber Fehler waren nicht gänzlich auszuschließen. Die Ausstellungsmacher legten deshalb von vornherein Wert auf die Feststellung, daß als Dokumente im strikten Sinn nur die so ausgewiesenen Materialien zu gelten hätten, die Fotos hingegen in der Regel „illustrierenden Charakter“ besäßen.

Speziell im vorliegenden Fall hätte sich Focus die Frage vorlegen müssen, ob die Interpretation, die der Nazipropagandist dem Foto gab, tatsächlich den wirklichen Ereignissen entsprach. Für die Interpretation Heers wäre ins Feld zu führen, daß Szenen wie die abgebildete tatsächlich häufig das Vorspiel zum Massenmord bildeten, eine Feststellung, auf die der ehemalige Leiter des militärischen Forschungsamts bei der Bundeswehr, Prof. Messerschmidt, gegenüber der taz Wert legte. Wer die Mörder waren, Mitglieder der SS- Einsatzgruppen oder Angehörige der Wehrmacht, ist aus dem Foto nicht ersichtlich und wird vielleicht nie mehr rekonstrierbar sein, ebensowenig wie der Ort, wo die Szene spielte. Der Ausstellungsmacher Heer hat die Szene nicht verortet, allerdings unter das Kapitel Weißrußland subsumiert. Er hat auch keine Feststellung der Täter getroffen, wird sich aber anrechnen lassen müssen, daß die Ausstellung im Ganzen über Verbrechen der Wehrmacht handelte. Aber selbst wenn die Recherche des Focus vollständig zuträfe – von „Verfälschungen“ kann keine Rede sein, denn sie würde eine entsprechende Absicht der Autoren voraussetzen.

Politisch hat die Veröffentlichung im Magazin bereits die gewünschten Resultate erzielt. Dabei ist weniger eine mit Schaum vor dem Mund verfaßte Erklärung Alfred Dreggers bemerkenswert. Gravierender, daß das differenzierende Urteil, daß Sensibilität und Erschütterung quer durch die Parteien, die bei einer Debatte über die Wehrmachtsverbrechen im Bundestag zutage traten, jetzt wieder verflogen scheint. Eine gemeinsame Resolution ist nicht mehr zu erwarten.