Spitzensteuersatz verhandlungsfähig

Im Streit um die Steuerreform zeigen sich SPD und Koalition wieder handlungs- und kompromißbereit  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die Kompromißbereitschaft von Politikern aus Koalition und SPD, sich im Steuerstreit doch noch vor dem parlamentarischen Verfahren zu einigen, wird offenbar immer größer. SPD-Chef Lafontaine erklärte gestern, er sei zu einer Senkung des Spitzensteuersatzes für Privateinkünfte bereit. Voraussetzung sei allerdings, daß die Finanzierung durch den ausreichenden Abbau von Steuervergünstigungen gesichert sei.

In den vergangenen Tagen hatten bereits mehrere SPD-Ministerpräsidenten signalisiert, der Koalition, die einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent anstrebt, entgegenkommen zu wollen. Die schleswig-holsteinische Landesregierung legte ein eigenes Steuerkonzept vor, nach dem der Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 49 Prozent gesenkt werden soll. Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau sekundierte, die SPD werde aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umhin kommen, den Spitzensteuersatz für Privateinkünfte zu senken, wenn sie die gewerblichen Steuersätze auf 35 Prozent drücken wolle.

Die SPD wies dabei den Eindruck zurück, Oskar Lafontaine habe auf Drängen seiner Ministerpräsidenten nachgegeben. SPD- Sprecherin Dagmar Wiebusch erklärte: „Aussagen über die Verhandlungsbereitschaft der SPD auch beim Spitzensteuersatz sind keine Überraschung.“ Lafontaine habe sie persönlich im Gespräch mit der Koalition angedeutet und daraus auch öffentlich kein Hehl gemacht. Im Beschluß des SPD- Präsidiums vom 2. September vorigen Jahres sei die Spitzensteuersatzsenkung vom Abbau von Steuervergünstigungen und am 27. Januar dieses Jahres von der Vereinbarkeit mit der finanzpolitischen Solidität und sozialen Gerechtigkeit abhängig gemacht worden.

Voscherau warnte indes vor Gerüchten, „deren einzige Absicht darin besteht, einen Keil in die SPD-Verhandlungsdelegation zu treiben“. Er versicherte, die SPD werde nun nicht – wie vor der Zeit Lafontaines als SPD-Chef – in „selbstsüchtige Eigenprofilierung von Personen zurückfallen“.

Seit dem Scheitern der Spitzengespräche zwischen Koalition und SPD wächst der öffentliche Druck auf eine Einigung. Nach einer Umfrage des Hamburger Magazins Stern bringen mehr als zwei Drittel der Bundesbürger kein Verständnis mehr dafür auf, daß die Gespräche über die Steuerreform abgebrochen wurden.

Große Wirkung zeigte auch die Rede von Bundespräsident Roman Herzog vom Wochenende, in der er den Stillstand von Reformen in Deutschland kritisiert hatte. Die Union beeilte sich daraufhin, am Montag in einer Pressekonferenz ihre Reformfähigkeit zu zeigen und noch einmal der SPD die Schuld für das Scheitern von Reformen in die Schuhe zu schieben. Zugleich zeigte aber auch CDU/ CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble Kompromißbereitschaft. Er begrüßte den Vorschlag von Rudolf Scharping, die Gewerbekapitalsteuer dann abzuschaffen, wenn dafür die Gewerbeertragssteuer verfassungsrechtlich verankert wird. Das hatte die Koalition bisher abgelehnt.

Sowohl Koalition als auch SPD halten es trotz gestiegener Einigungschancen für unwahrscheinlich, daß es noch einmal zu Spitzengesprächen über die Steuerreform kommen werde. Im Vermittlungsausschuß, so hieß es, bleibe genug Zeit zur Einigung.

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