Von Buntköpfen und Schwarzköpfen

■ Das Massenmedium Bauwagen, Multikulti und die Reeskalationsstrategie von Innensenator Schönbohm. Ein Nachschlag zu den Berliner Mai-Demonstrationen

„Wir von den Medien hatten uns im Vorfeld eigentlich mehr von diesem Tag erhofft gehabt“, sagte ein Journalist zu einem Gewerkschafter – beim Auseinandergehen.

Für die ausländischen Bauarbeiter auf dem Potsdamer Platz begann der 1.-Mai-Terror bereits am Abend davor: Nachdem die Polizeitruppen alles abgesperrt hatten, durfte niemand mehr die Wohncontainer verlassen. Am nächsten Morgen ging von dort aus der IG- Bau-Demonstrationszug los. Im Gegensatz zu diesem wäre der Marsch der IG-Metaller absolut kümmerlich ausgefallen, wenn sich ihm nicht die ganzen „Schwarzköpfe“ angeschlossen hätten: die radikalen türkischen Blöcke. So akzeptierte die Berliner IG-Metall-Führung diese „Stalinisten“ denn auch diesmal wieder.

Ein IG-Metall-Ordner wies mich später noch auf einen weiteren Grund hin: „Die wirklich guten Berliner Betriebsräte waren früher fast alle kurdische Maoisten!“ Obwohl die IG Metall eine Art „Sicherheitspartnerschaft“ mit der Polizei vereinbart hatte, nach der Eingriffe nur nach Absprache mit dem verantwortlichen zweiten Bevollmächtigten stattfinden sollten, griff sich ein Zivilfahnder einen Türken mit verbotenem Emblem aus dem Block des antifaschistischen marxistischen Komitees. Dies hatte zur Folge, daß nach einem Gerangel neben dem AFMK- Aktivisten noch ein kurdischer Arzt und der taz-Holzjournalist Christian Specht festgenommen wurden. Der Grünen-Sprecher Christian Ströbele erklärte sich sofort bereit, über Fax deren umgehende Freilassung zu fordern, und die IG-Metall-Ordner telefonierten ununterbrochen nach dem Ermittlungsausschuß.

Überhaupt war man wild entschlossen, an diesem Tag Solidarität zu zeigen: Auf dem Mariannenplatzfest wurde die „Multikulturalität“ geradezu Programm. Der „Stalin von Bad Schwartau“, Dr. Seltsam, bemühte sich obendrein, es so romantisch wie möglich zu moderieren. Statt des üblichen Punk-Rock-Geschrammels spielte und tanzte die Gruppe „Omayra“. Gegen Abend räumte die Polizei den Platz dennoch, dabei kam es zu Scharmützeln. Autos und Gerätschaften brannten beziehungsweise gingen zu Bruch.

Um Mitternacht stürmte die Polizei eine badensische Autonomenkneipe in der Oranienstraße. Im Anschluß an die West-Autonomendemonstration in Mitte (mit dem absprachewidrigen Emma- Goldmann-Motto „Wenn ich hier nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution“) gab es ähnliche Zusammenstöße zwischen kleineren militanten Gruppen – in der Oranienburger-Straße beispielsweise. In Prenzlauer Berg flammten sogar rudimentäre Barrikaden auf. Hierbei kam auch das Massenmedium Bauwagen wieder zum Einsatz. Einige polnische Bauarbeiter – in Kamerabegleitung – waren schwer beeindruckt davon.

An der Maoisten-Demo in Kreuzberg beeindruckte zum einen, mit wie wenig Türken man eine imposante und laute Demo hinkriegt, und zum anderen, wie blaß und grau, ja fertig, die Deutschen neben den „Schwarzköppen“ aussehen. Da half auch nicht die Parole meiner türkischen Lieblingsstalinistin „Das Proletariat hat kein Vaterland / Nie wieder Deutschland!“, mit der sie im zweiten Lautsprecherwagen ununterbrochen die Massen aufpeitschte. Neben mir gingen zwei Mädchen. Die eine sagte: „Ich hab' nur noch mit Türken und Arabern zu tun.“ Die andere: „Sag mir doch mal, wo du die alle kennenlernst!“

Neu war heuer, daß es auf der Autonomen-Demo neben dem sogenannten schwarzen Block noch einen rabenschwarzen gab: bestehend aus einer Gruppe aufgehübschter Grufties. Auf dem Humannplatzfest im Osten trafen sich fast ausschließlich gepiercte „Buntköppe“. Das Mariannenplatzfest organisierten diesmal alle Kreuzberger Gruppen – von SPD bis KPD/RZ – gemeinsam. Zwischen dem Gewerkschaftsfest vor dem Roten Rathaus und der PDS- Veranstaltung auf dem Alexanderplatz schlenderten die Massen hin und her, wobei eine Kartenlegerin in Mitte ein Bombengeschäft machte, indem sie den Leuten ihre Zukunft („Ist mein Arbeitsplatz sicher?“) voraussagte. Iraner, Tamilen und Äthiopier geißelten auf Flugblättern ihre Heimatregimes. Die Berliner Pfingst-Uni warb für ihren Themenschwerpunkt „Widerstand“, und die Frankfurter „Rosa-Luxemburg-Tage“ versprachen zum selben Datum „Eine Welt in Aufruhr“.

Die Gruppe „Revolutionärer Funken“ bewies indes in einem längeren Text: „Es müssen also unkonventionelle Lösungen her!“ Eine Gruppe junger Schöneberger hatte sie bereits: „Werd auch du so / wie ein Juso!“ – „Ein Tag der großen Worte“, resümierte der Spätausgabenkommentator der „Tagesschau“ den 1.Mai anschließend. Als Gehaltsempfänger sprach er sich sogleich auch noch mutig für die totale Lohnflexibilisierung aus.

Auch neu war diesmal, daß die Berliner Springer-Presse und sogar Jelzin in Moskau die Arbeiter aufforderten, ins Grüne zu fahren, um sich mal einen Tag so richtig zu erholen. Als böte der Ausflug ins Grüne noch eine Alternative zum städtischen Treiben. Eine Blitzumfrage unter einigen Berliner Demo-Spätheimkehrern ergab, daß die überwiegende Zahl gerade das urbane 1.-Mai-Angebot in diesem Jahr „super“ beziehungsweise „urst schau“ fand – die Reeskalationsstrategie des Innensenators war ihnen dabei weniger ein Problem als die – eventuell sogar zunehmende – Unfähigkeit, sich ihr kollektiv entgegenzustellen.

Schon bei der Festnahmeaktion im IG-Metall-Zug am Vormittag sei dies der „Knackpunkt“ gewesen. Und nichts hätte dies deutlicher machen können als die DGB- Sprecherin auf der anschließenden Kundgebung: „Wir fordern, daß Berlin sich als eine Stadt zu erkennen gibt, in der es sich lohnt, zu leben und zu arbeiten!“ Dies muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen... Helmut Höge